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„Wir (b)rauchen jeden Stengel!“

■ „Legalize it!“-Bewegung und Nutzhanfverarbeiter reichen sich öffentlich die Hand

Der Berliner Polizeipräsident dürfte der kommenden Cannabis- Erntesaison im Spätsommer mit gemischten Gefühlen entgegensehen: Der Vorstandsvorsitzende der TreuHanf AG, Matthias Schillo, hat die Berliner Homegrower während einer Freiluft- Pressekonferenz des Bündnisses Hanfparade e.V. vor dem Roten Rathaus am 18. April dazu aufgerufen, ihren nicht zu Rauchzwecken geeigneten Ernteabfall, die Stengel der Hanfpflanzen, anonym an den Berliner Polizeipräsidenten zu schicken. „Wir bieten dem Polizeipräsidenten an, daß wir solche Ware sofort abholen und unter voller Kontrolle zu Industrieprodukten weiterverarbeiten“, so Schillo. Hintergrund dieses Aufrufs: Die TreuHanf AG betreibt seit 1997 in Zehdenick im Norden Berlins eine Hanffabrik. Diese Hanffabrik habe jetzt einen „Riesenauftrag über die Herstellung von 400.000 Quadratmeter Dämmfilz aus Hanffasern“ erhalten. Und bei einer solchen Menge werde der „Rohstoff knapp“. Schillo: „Werfen Sie Ihre Hanfstengel nicht weg. Wir brauchen jeden Stengel für unsere Produktion.“

Mit der Unterstützung öffentlichkeitswirksamer Aktionen wie dieser versucht das Bündnis Hanfparade e.V. derzeit, die Mobilisierung für die am 29. August stattfindende Hanfparade in Berlin voranzutreiben. Auf der öffentlichen Pressekonferenz wurde von den anwesenden Hanflobbyisten aus Parteien, Wirtschaft, Medien und Medizin ein weiteres Mal die Vielseitigkeit der Pflanze als Rohstoff, Medizin und Genußmittel proklamiert. Alle forderten – wie seit Jahren üblich – die Legalisierung von Cannabis, dessen Gefährlichkeit ein Redner mit der von Kaffee gleichstellte. „Im frühen 19. Jahrhundert mußte ein Kaffeetrinker in manchen deutschen Fürstentümern noch mit der Todesstrafe rechnen“, so Robert Salinger vom Hanfhändlerverband. „Am Ende des 20. Jahrhunderts sind es die Cannabiskonsumenten, die in Deutschland die wohl am stärksten verfolgte und diskriminierte Minderheit bilden.“ Der Hanfhändlerverband sehe sich gezwungen, im Wahljahr 1998 Sorge zu tragen, daß keine Partei die Wahl gewinnt, „die eine Herausnahme von Hanf aus dem Betäubungsmittelgesetz ablehnt“. Auch Parteienvertreter von der PDS und Bündnis 90/Die Grünen meldeten sich zu Wort. „Ich habe keinen Bock, mir meine Lebensformen von alkoholisierten Rentnern in Bonn vorschreiben zu lassen“, sagt Freke Over, Berliner Landtagsabgeordneter der PDS. „Wir kiffen soviel, wie wir wollen.“

Das Bündnis Hanfparade zeigt sich im Hinblick auf eine baldige Legalisierung von Cannabis optimistisch. „Die Pro-Cannabis-Bewegung wird immer stärker und offensiver. Allein zur Hanfparade erwarten wir mehr als hunderttausend Teilnehmer“, sagt Pressesprecher Martin Müncheberg. Volker Wartmann

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