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Das Wasserrad neu erfinden

Technische Innovationen bei Wasserrädern waren in den letzten Jahrzehnten Mangelware. Ein Jungunternehmer will den Markt im unteren Leistungsbereich aufrollen  ■ Von Ralf Köpke

Kahl wirkt der Raum im Schatten des Bochumer Bergbau-Museums. Laptop, Telefonanlage und die langgezogene Ablage mit den vielen lindgrünen Plastikfächern könnten auch in jedem anderen Büro stehen. Einzig das große Foto an der Wand, das ein funktionierendes, historisches Mühlenrad im hellen Sonnenschein zeigt, gibt einen Hinweis auf die Profession von Thomas Günther. Der 42jährige Diplomingenieur ist Geschäftsführer der Bega Wasserkraftanlagen GmbH: „Klar hätte ich auch gern eine eigene Werkstatt mit Schweißer und Monteur, doch noch ist es nicht soweit.“

Hatte der Jungunternehmer mit seiner vor vier Jahren gegründeten Firma 1996 noch einen Umsatz von rund einer Viertel Million Mark erzielt, kam es im vergangenen Jahr zum schmerzlichen, nicht erwarteten Einbruch. Die Ursache: „In vielen Bundesländern ist die öffentliche Förderung für kleinere Wasserkraftwerke völlig eingestellt worden.“

Als Chef der Energieagentur Nordrhein-Westfalen hat Norbert Hüttenhölscher einen Überblick, wo und mit wieviel staatlicher Unterstützung potentielle Investoren in regenerative Energietechniken rechnen können. Für ihn ist Thomas Günther dennoch ein „Hoffnungsträger“, der mit seinem Engagement zeige, „daß der Schritt in Richtung Selbständigkeit auch im Bereich der erneuerbaren Energien möglich ist.“ Daß Thomas Günther wieder Wasser unter den Kiel bekommt, ist für Hüttenhölscher eine ausgemachte Sache: „Der Mann hat das Wasserrad neu erfunden.“

Erfindung ist schon das richtige Wort: Günther hat sich die Antriebstechnik für die Kleinstwasserräder mit einer Leistung von unter zehn Kilowatt (kW) patentieren lassen. Die Konstruktion basiert auf einem integrierten Radnabengetriebe, von Fachleuten auch Planetengetriebe genannt, und einem angekoppelten Generator. Erster Vorteil: Hatten bis dahin Wasserräder mit einer aufwendigen dreistufigen Übersetzung gearbeitet, so schafft nun das preiswertere Planetengetriebe die Verbindung zwischen Rad und Generator. Und das läßt die Kosten spürbar sinken. Der Preis einer kleinen netzgekoppelten Anlage mit drei kW Leistung liegt bei etwa 30.000 Mark. Zweiter Vorteil: Da sich die oberschlächtigen Wasserräder, bei denen das Wasser in die jeweils höchste Schaufel fließt und das Rad mit seinem Eigengewicht zum Rotieren bringt, recht langsam drehen, besteht für Fische und Kleinstlebewesen keine Verletzungsgefahr.

Daß der Bochumer Existenzgründer im Bereich der Mini-Leistungszahlen dem Wasserrad den Vorzug vor einer Turbine gibt, dafür gibt es gleich mehrere Gründe: „Gerade die kleineren Turbinen reagieren empfindlich auf Verunreinigungen, haben einen bescheidenen Wirkungsgrad und sind im Preis-Leistungs-Verhältnis schlichtweg zu teuer.“ Im Gegensatz zu Turbinenanlagen ist auch kein Rechen erforderlich, der schwimmende Äste, Laub und anderes zurückhalten muß – eine weitere Ersparnis.

Wirtschaftliche Gründe waren es, die mit zum großen Wasserrad- Exitus der vergangenen Jahrzehnte beigetragen haben. Zur Jahrhundertwende trieben über 100.000 Wassermühlen und -räder Hammerschmieden, Sägewerke und Getreidemühlen im Kaiserreich an. Heute produzieren bundesweit rund 8.000 Turbinen Wasserstrom, wogegen Wasserräder bestenfalls musealen Charakter haben. Technische Innovationen blieben bei den Wasserrädern in den vergangenen Jahrzehnten Mangelware. Thomas Günther zu dieser Entwicklung: „Mit den Turbinen konnten neue Leistungsgrößen für die Wasserkraft erschlossen werden, während die Leistungsklasse unter zehn Kilowatt fast in Vergessenheit geriet, der Bereich, in dem sich viele der alten Mühlenstandorte bewegten.“

Zehn, vielleicht fünfzehn Prozent der alten Mühlenstandorte lassen sich nach ernstzunehmenden Schätzungen von Wasserkraft- Fachleuten reaktivieren. Was diese Zahlen konkret bedeuten, weiß Ernst Ulrich von Weizsäcker, Präsident des renommierten Wuppertal Instituts: „Mit der Güntherschen Entwicklung läßt sich allein in Deutschland ein brachliegendes Wasserkraftpotential von rund 100 Megawatt wirtschaftlich erschließen.“ Oder anders gerechnet: Bei Investitionskosten von 10.000 Mark pro Kilowatt kommt ein Volumen von rund einer Milliarde Mark zusammen. Noch ganz andere Potentiale hat Ernst Ulrich von Weizsäcker im Hinterkopf: „Die Technik des Wasserrades ist so einfach, daß es weltweit Einsatzmöglichkeiten gibt. Radnabengetriebe und Generatoren sind Produkte, die auch in sogenannten Entwicklungsländern verfügbar sind.“

Einen Auftrag aus Afrika oder Asien würde Thomas Günther wohl nicht ablehnen. Erst einmal ist der Wasserkraft-Unternehmer froh, daß sich für ihn nach den ersten Wochen des neuen Jahres ein leichter Silberstreif am Horizont abzeichnet. Die ersten Aufträge sind in Bochum eingetroffen, darunter auch einer aus Luxemburg. Damit das Wasserrad die Bega Wasserkraftanlagen GmbH voll in Schwung hält, müssen jährlich an die 20 Aufträge in Bochum eintreffen: „Spätestens dann ist der Umzug in ein neues Büro mit eigener Werkstatt nicht mehr aufzuhalten.“

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