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Schön oder erhaben?

Das ist hier die Frage. Während Bill Clinton in Sanssouci tafelte, hielt der Philosoph Richard Rorty ein paar Meter entfernt der neuesten Linken eine Ruck-Rede  ■ Von Mariam Lau

Daß die deutsche Klassenlotterie einen Vortrag des amerikanischen Philosophen Richard Rorty finanziert, leuchtet unmittelbar ein. Schließlich ist die Hoffnung auf ein besseres Leben, die ja auch zum Kauf eines Loses treibt, ein zentrales Motiv seines Denkens. Eine Philosophie, der dieses Motiv zu profan oder zu „seinsvergessen“ ist, muß mit Widerspruch von Rortys Seite rechnen.

Aber nicht alle, die ein besseres Leben wünschen, sollen aufstehen und sich Philosophen nennen. In seinem am Dienstag abend in der Berliner Staatsbibliothek gehaltenen Vortrag mit dem irritierenden Titel „Vernünftige Schönheit, nicht-diskursive Erhabenheit und die Philosophengemeinschaft“ präsentierte er die Bedingung zur Aufnahme in den Club, an der Amateurliteraten ebenso abprallen sollen wie „Religionspropheten, Freshmen und eine bestimmte Sorte allzu enthusiastischer Naturwissenschaftler, die ihre eigenen Entdeckungen für den Schlüssel zur Lösung althergebrachter philosophischer Probleme halten“. Die Bedingung, zur Gemeinschaft der Philosophen zu gehören, sei die Auseinandersetzung mit der Spannung zwischen dem Schönen und dem Erhabenen, wie sie einem aus den kanonischen Texten Kants und Platons entgegenschlage.

Bei Schönheit denkt Rorty nicht an „das Muskelpaket Christus aus Michelangelos Jüngstem Gericht oder die Venus von Willendorf“ oder Sie oder mich, sondern an den Versuch, vertraute Dinge zu neuen, überzeugenderen Mustern zu ordnen: ein eleganter mathematischer Beweis, ein klares Diagramm, eine neue, angenehme Melodie oder eben ein brillanter philosophischer Gedanke wären Beispiele für solche Versuche.

Wer hingegen das Erhabene sucht, will etwas völlig Unbekanntes, Unvertrautes und also Unsagbares, von dem man ergriffen wird, das sich nicht einverleiben läßt in einen bekannten Kontext. Die Anhänger des Erhabenen suchen nach zeitlosen, absoluten Wahrheiten, die Anhänger des Schönen nach Überzeugungskraft unter den gegenwärtigen Bedingungen.

Die eine Gruppe meint, was nicht durch Argumentieren geklärt werden kann, ist nicht der Rede wert; die andere meint, nichts, was durch Argumentieren geklärt werden kann, ist von Bedeutung. Was für Heidegger geschwätziges Tagesgeschehen ist, durch das dem einzelnen der Zugang zum Sein verbaut wird, ist für Habermas kommunikative Vernunft, die den Griff nach dem Transzendenten, dem ganz Anderen völlig überflüssig macht. Aufs Politische zurückgespiegelt wären die Anhänger des Erhabenen wohl die Revolutionäre, die Anhänger des Schönen die Reformer.

Es war nicht schwer zu erraten, wo Rortys Sympathien liegen. Statt aber schlicht mit einem Toast auf die Schönheit zu enden, ließ er den Vortrag in einer Pendelbewegung ausklingen: Von Zeit zu Zeit müsse eben das ganze Vokabular einer Epoche über Bord geworfen, alles grundüberholt werden, und dazu brauche man nun einmal die Transzendentalisten. „Die Zivilisation schreitet nur deshalb voran, weil manche Leute willens sind, befremdlich, irrational und unzugänglich zu klingen.“

Dies konnte noch im Ohr haben, wer am nächsten Morgen der Einladung des Einstein-Forums zum Rorty-Seminar nach Potsdam gefolgt war. Während wenige Meter weiter der amerikanische Präsident vom preußischen Silber tafelte, hielt Rorty der neuen amerikanischen Linken eine Ruck- Rede, die seine deutschen Zuhörer nach nur kurzer Aussprache etwas gedeckelt nach Hause ziehen ließ. Wie in seinem neuen Buch „Achieving Our Country“ warf er dieser 1964 gegen den Vietnamkrieg entstandenen akademischen Linken vor, nur noch über Geschlecht und Rasse statt über Löhne und soziale Marginalisierung reden zu wollen. Das Verdienst dieser „foucaultschen“ Linken besteht nach Rortys Auffassung darin, das Benehmen des Mittelstands verbessert zu haben. „Niemand findet heute in meiner Heimatstadt Charlottsville in Virginia mehr etwas dabei, wenn eine weiße Kellnerin einen schwarzen Gast bedient – das war vor vierzig Jahren völlig undenkbar.“ Politische Korrektheit habe die Alltagskultur revolutioniert. Und Foucault, der einzig verbliebene Säulenheilige dieser Bewegung neben der Gender-Theoretikerin Judith Butler, habe den Gedanken der sozialen Konstruiertheit des Geschlechts popularisiert – „und manche Leute finden, dafür könne man ihm nicht dankbar genug sein; meinetwegen“. Aber die Kultur, auch der Multikulturalismus, sei angesichts des Elends in amerikanischen Großstadtgettos nicht der richtige Kriegsschauplatz. Die Linke solle ihren Generalverdacht gegen die Institutionen Amerikas aufgeben und sich mit den untergehenden Gewerkschaften zusammentun, um über Mindestlöhne, öffentliche Schulen und Protektionismus zu reden. Und wenn sie kein gemeinsames Projekt mehr haben? „Dann muß wohl erst eine große Krise kommen.“

Angesichts solcher Verelendungstheorien war es nicht überraschend, daß Rortys Publikum nicht in den Pilgerscharen angereist war, die noch vor einigen Monaten Judith Butler an derselben Stelle mobilisieren konnte. Trotzdem, so berichtete Rorty, grüßen sich die beiden freundlich: „Greetings from the Foucauldian Left“ hat sie ihm einmal zugerufen, und er hat kürzlich mit einer Buchwidmung geantwortet: „Greetings from the Habermasian Left“.

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