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Politisches Comeback eines Exgenerals

■ Alexander Lebed steht vor dem Sieg bei Gouverneurswahlen. Moskaus Elite graust es

Moskau (taz) – „O Gott, ist es wahr, unser Retter ist erschienen?“ seufzt eine alte Frau verzückt. Musik weist ihr den Weg in den Dorfclub: „Wo bist du“, scheppern die Boxen, „ich vermisse dich, bin doch nur ein Igel im Nebel.“ Wahlkämpfer Alexander Lebed wird in dem kleinen Dorf im Gebiet Krasnojarsk jeden Moment erwartet. An die hundert solcher Auftritte hat er in den letzten vier Wochen absolviert. Sein professioneller Wahlstab kümmert sich sogar um die Begleitmusik. Eine Novität, denn bisher verließ sich der selbstverliebte General a.D. allein auf sein Charisma. Für die Gouverneurswahlen im sibirischen Krasnojarsk hat er sich mit erfahrenen Imagemakern umgeben. Denn diesmal geht es ums Ganze. Alles läuft wie am Schnürchen, überall riecht es nach großem Geld.

Als Drittplazierter der letzten Präsidentschaftswahlen verhalf Lebed in der Stichwahl Boris Jelzin zur zweiten Amtsperiode. Der bedankte sich zunächst mit dem Posten des Sicherheitsratschefs. Lebed sorgte für Frieden in der Kaukasusrepublik Tschetschenien und fiel kurz darauf in Ungnade. Seither wurde es ruhig um den ambitionierten Boxmeister, verschiedene Versuche, in der Politik Fuß zu fassen, schlugen fehl. Auch in der öffentlichen Gunst sank sein Stern.

Die Wahlen in Krasnojarsk sollen nun die Wende einleiten. Über Sibirien plant der General mit der Stimme eines „startenden Triebwerks“ den Sprung zurück auf die nationale Bühne. Siegt er, zieht er in den Föderationsrat ein, dessen stellvertretender Vorsitzender der amtierende Gouverneur Krasnojarsks, Waleri Subow, ist. Erobert er dessen Sitz, so das Kalkül, wäre die erste Etappe im Wettlauf um die nächste Präsidentschaft erfolgreich abgeschlossen.

Zumal finanzkräftige Kreise den General unter ihre Fittiche genommen haben. Großmogul Boris Beresowski, einer der sieben legendären Oligarchen, die Jelzins Wiederwahl 1996 sponserten, heuerte den Militär an. Dem Milliardär und Demiurg der politischen Intrige eilt eine recht zweifelhafte Fama voraus. Saubermann Lebed, dessen politisches Kapital und Handwerkszeug aus den Allgemeinplätzen Ordnung, Ehre und Vaterland besteht, kennt plötzlich keine Berührungsängste mehr: „Ich habe meine Meinung geändert und seine Arbeit genauer studiert“, rechtfertigte er die überraschende Wahl der neuen Freunde.

Beresowski sucht unterdessen nach einer Revanche, sich beim Kremlchef zu rächen und seine Omnipotenz zu beweisen. Mit der Entlassung des Premiers Wiktor Tschernomyrdin hatte Jelzin dem Finanzmagnaten im März eine schallende Ohrfeige verabreicht. Zu den engeren Vertrauten Lebeds zählt auch der Krasnojarsker Geschäftsmann Anatoli Bykow. Der ehemalige Berufsboxer und Millionär avancierte zum Vizepräsidenten der Bank „Rossiski Kredit“, die ebenfalls den Wahlkampf finanziert. Auch Bykow, eine schillernde Figur mit Spitznamen „Bulle“, ist ein fleißiger Grenzgänger zwischen den Welten...

Der Sieg Lebeds im Verwaltungsgebiet Krasnojarsk, das vom Polarmeer fast bis an die mongolische Grenze reicht und ein Viertel der Fläche der USA umfaßt, gilt schon als sicher. Demoskopen messen dem Urnengang darüber hinaus einen gesamtrussischen Prognosewert bei. Die Verteilung von städtischer und ländlicher Bevölkerung in Krasnojarsk entspreche einem russischen Mikrokosmos. Bisher bildeten die Wahlergebnisse der Region die nationale Stimmung im ganzen ab.

Im ersten Wahlgang erhielt der bärbeißige Militär auf Anhieb 45 Prozent der Stimmen, zehn Prozent mehr als Gegenspieler Waleri Subow. Keiner hatte den Erdrutsch erwartet. Zumal der aus Moskau eingeflogene Wandschrank zu Kampagnenbeginn in der Wählergunst noch bei bescheidenen 14 Prozent gelegen hatte.

Verzweifelt rief der zum Jelzin- Lager zählende Gouverneur um Hilfe. Ultimativ forderte er den Kremlpatron auf, die Machenschaften „ortsfremder Banker“ zu unterbinden und die Lohnrückstände unverzüglich zu begleichen. Im Falle eines Lebed-Sieges, orakelte der hilflos wirkende Subow, stünde das Land am Rande einer Katastrophe: „Sie als Präsident verstehen, was das bedeutet – der Weg in den Bürgerkrieg...“

Zwischenzeitlich erwog Moskaus Zentrale Wahlkommission, das Ergebnis der ersten Runde zu annullieren. Nach reiflicher Überlegung verwarf man das Vorhaben: Den russischen Kohlhaas zu demütigen, hieße, ihm zusätzliche Popularität zu verschaffen.

Lebeds Kandidatur hat das in Moskau beheimatete politische Establishment in Unruhe versetzt. Moskaus Bürgermeister Luschkow reiste als Wahlhelfer zu Subow. Das Resultat war kontraproduktiv. Die Provinz hegt eher Ressentiments gegenüber dem wohlhabenden Machtzentrum.

Selbstverständlich war die Visite des Moskauers, der sich Hoffnungen auf das höchste Staatsamt macht, nicht selbstlos. Gegner Lebed, der im gleichen Wählerpool fischt wie der chauvinistische Stadtvorsteher, sollte schon in Sibirien zur Strecke gebracht werden. Ähnliche Motive bewegten den Chef der Kommunistischen Partei, Gennadi Sjuganow, der vor einer „planetarischen Katastrophe“ warnte: Lebed und sein Bruder Alexej, Gouverneur im benachbarten Chakassien, könnten mit dem aufmüpfigen Verwaltungschef in Jekaterinenburg, Eduard Roussel, eine unabhängige Republik Sibirien schaffen, womöglich ein Bündnis mit Japan schmieden...

Zuletzt meldete sich auch Ultrachauvinist Schirinowski. Sie alle fürchten nicht um Rußland, vielmehr steht ihre politische Zukunft auf dem Spiel. So sammelte der kommunistische Kandidat nur ein Zehntel der Stimmen, während Lebed in Kleinstädten und Dörfern teils Dreiviertel der Wähler hinter sich scharte.

Auch ein Gouverneur Lebed kann das Schicksal der Menschen nicht zum Besseren wenden. Dazu bleibt ihm keine Zeit. Schon heute haben sie den kürzeren gezogen. Beresowski wird statt desssen seine Belohnung einklagen. Krasnojarsk ist eine der rohstoffreichsten russischen Provinzen. In Norilsk steht der Welt größtes Nickel- und Aluminiumwerk, das sich Beresowskis Feind Wladimir Potanin vom Oneksim-Imperium für lächerliche 250 Millionen US-Dollar unter den Nagel gerissen hat. Doch hat die Region noch mehr zu bieten. Sollte Lebed später auf die nationale Politikbühne zurückkehren, fordert auch Bykow seinen Obulus: einen Platz für das regionale Kapital am Tisch der Zentralmacht. Dem Beispiel werden andere Regionalpotentaten folgen. Und davor hat die exklusive hauptstädtische Elite Angst. Klaus-Helge Donath

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