piwik no script img

Wunder in Lila und Rot-Weiß

■ Morgen bestreitet Vorwärts-Wacker Billstedt das Hamburger Amateur-Pokalendspiel. Vor zehn Jahren war der Finalist noch zwei Vereine

Vor einem Jahr, beim Senioren-Pokalendspiel Billstedt gegen Kirchwerder, stellte Hans Sobolewski klar: „Heute spielt eine Vorwärts-Mannschaft und keine von Vorwärts-Wacker!“ Für den einstigen Vorwärts-Mittelstürmer ist das auch eine Form von Protest. „Beim Liga-Aufstieg trugen alle rote Wacker-Krawatten“, erklärt er, „deshalb gibt es heute Lila“. Und beim 90-jährigen Jubiläum vor vier Jahren resümierte Festredner Ivar Butterfas noch, erstaunlich sei die deutsche Einheit, unglaublich der Friede in Palästina, „aber das größte Wunder ist, daß Vorwärts und Wacker zueinander gefunden haben“.

Mit der „Liga“ ist die erste Mannschaft des SC Vorwärts-Wacker 04 Billstedt gemeint – eine Fusion der einst verfeindeten Clubs Vorwärts und Wacker, die seit 1990 besteht und morgen im Finale um den Hamburger Fußball-Pokal kämpft. Und mit der Farbwahl ist man auch heute noch vorsichtig. Die Mannschaft wechselt von Spiel zu Spiel ihre Trikots, um es beiden Seiten recht zu machen – lila für Vorwärts oder rot und weiß für Wacker. Einige Anhänger sind nicht so wählerisch. Bewegen sich Mitglieder einer alteingesessenen Clique ein paar Schritte vom angestammten Platz, wird vom Rest der Gruppe gerne mal gepflaumt: „Was steht ihr da drüben auf der Verräterseite?“

Vor dreißig Jahren sei es noch „undenkbar“ gewesen, erzählt der langjährige Vorwärts-Vorsitzende Berni Kämper, daß jemand „zur Maskerade des anderen Vereins“ gegangen wäre. Dabei ist der Stadtteil in Hamburgs Osten selbst eine Fusion. 1928 entstand Billstedt aus Schiffbek, Öjendorf und Kirchsteinbek. Noch heute wird gern goutiert, statt Billstedt sei in der klassenbewußten Arbeiterhochburg auch Klein-Moskau als neuer Name im Gespräch gewesen.

Als die NSDAP die Macht übernommen hatte, wurde Vorwärts 1933 wegen der „Gefahr einer verbotenen politischen Betätigung durch die Vereinsmitglieder“ kurzzeitig verboten. Das Eigentum wurde beschlagnahmt, der Vorstand wurde ausgetauscht, nach zwei Monaten durfte Vorwärts wieder spielen.

Ab 1967 kickten die Rivalen gemeinsam am Öjendorfer Weg, weil ihre Plätze der U-Bahn und einem Postneubau weichen mußten. Während Wacker die neue Anlage gegen St. Georg einweihte, spielte Vorwärts zehn Tage später gleich gegen den HSV – was den Neid nicht gerade reduzierte. Beide Vereine dümpelten weiter in unteren Klassen, obwohl ihr Einzugsgebiet mit der Urbanisierung Billstedts mehr und mehr hergab.

1989 war die Schmerzgrenze erreicht: Vorwärts versuchte fast ein Jahrzehnt vergeblich, aus der Landesliga aufzusteigen, Wacker hatte sich gerade in der Siebtklassigkeit etabliert. Zwischen den Präsidenten Berni Kämper und Herbert Glabbatz wurde das erste Fusionsgespräch geführt. „Das kam einer kleinen Revolution gleich“, blickt Kämper zurück. „Wir haben anfangs einige Schwierigkeiten gehabt“, gesteht Glabbatz. Der Torwart, der noch von Wacker verpflichtet worden war, weigerte sich, für den neuen Verein Bälle zu halten. Einzelne Mitglieder traten aus, als beide Clubs auf ihren Versammlungen die Fusion besiegelten.

Sportlich ging es von Stund' an bergauf. Erst gelang der Aufstieg in die Verbandsliga, dann wurde der Club 1997 Hamburger Meister und stieg in die Oberliga auf. „Der Erfolg“, meint Kämper, „gibt uns recht“. Vorwärts-Wacker stellt im Moment die zweitbeste Hamburger A-Jugend, neun Nachwuchskicker werden für die neue Serie in die Ligamannschaft übernommen.

Dann soll auch der deutlichste Ausdruck des einstigen Nebeneinanders getilgt werden – der Trikotwechsel. „Das muß sich unbedingt ändern“, meint Udo Jürs, einer der Sponsoren. 1990 hat er als Vorwärts-Mitglied noch gegen die Fusion gestimmt, aber „heute bin ich froh“. Für die neue Saison soll ein einheitliches Trikot in Lila-Rot-Weiß gestaltet werden. „Wenn man fusioniert hat, hat man sich geeinigt“, proklamiert Walter Hamester, seit 1928 bei Vorwärts und später zehn Jahre Präsident, „das sollte man auch zum Ausdruck bringen“. Es wäre der vorletzte Schritt zur Harmonisierung – denn Krawatten gibt es immer noch in Vorwärts-Lila und Wacker-Rot getrennt zu kaufen. Folke Havekost

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen