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Präsident Suharto setzt auf Zeit

Aufräumen in Indonesien: Immer noch werden Leichen gefunden. 3.000 Gebäude in Jakarta sind zerstört. Die chinesische Minderheit sieht sich ungeschützt  ■ Aus Jakarta Jutta Lietsch

Eine nervöse Ruhe liegt über Jakarta. Ab und zu rollen noch Panzer, vor wichtigen Gebäuden und an strategischen Kreuzungen stehen weiterhin Militärposten. Aber in vielen Stadtvierteln scheint das Leben normal zu verlaufen: Die Imbißköche verkaufen wieder Nudeln, der Verkehr wird dichter.

In anderen Teilen der Stadt, wo seit Mittwoch geplündert und gebrandschatzt wurde, wird das ganze Ausmaß der Zerstörung nur langsam richtig klar: Erstarrt stehen die Menschen vor den Ruinen der 3.000 Gebäude, die nach offiziellen Angaben in Jakarta vernichtet oder beschädigt wurden. Einige blicken nur vor sich hin, andere klauben verwertbare Reste zusammen. Viel ist es meist nicht, was Feuer und die Plünderer übrigließen – hier ein Dutzend Flaschen Speiseöl, da einige Kartons mit verrußten Keramikschälchen, dort ein paar Gläser.

Aus rauchschwarzen und zum Teil noch schwelenden Einkaufszentren in allen Ecken der Hauptstadt bergen Helfer weiterhin verkohlte Leichen. Über 500 Menschen sind nach bisheriger Schätzung in Jakarta und anderen Orten des Landes ums Leben gekommen. Viele von ihnen waren Angestellte oder Plünderer, die nicht mehr hinausfanden, als Gruppen anderer Plünderer das Gebäude ansteckten. Die meisten verbrannten oder starben, weil sie aus großer Höhe aus dem Fenster gesprungen waren.

Im Leichenschauhaus vom Cipto Mangunkusumo Hospital in Zentral-Jakarta sind bereits mehr als 230 Tote registriert. Die meisten sind bis zur Unkenntlichkeit verschmort. Nur 54 konnten bislang von ihren Angehörigen identifiziert werden. Die Polizei hat nach eigenen Angaben über 1.000 Plünderer festgenommen. Das Fernsehen zeigte offenbar zur Abschreckung, wie einzelne Gruppen verhafteter Männer gezwungen wurden, im Entengang gebückt zu laufen, andere mußten CDs oder anderes Plündergut aufessen.

Die Armee „entschuldigt sich bei allen Teilen der Nation und des Volkes für die Bedingungen, die im Augenblick herrschen“, erklärte ein Militärsprecher am Samstag vor der Presse. Die Streitkräfte seien „bereit, ihre gesamte Glaubwürdigkeit für die Rückkehr von Sicherheit und Frieden einzusetzen“, fügte er hinzu.

Präsident Suharto jedoch scheint ungerührt. Bislang gibt es keinen Hinweis, daß er freiwillig zurücktritt, auch wenn diese Forderung selbst in der Regierungspartei Golkar immer lauter wird. Statt dessen kündigte er an, sein Kabinett umzubilden – weil „die Kinder unzufrieden sind“, wie der Regierungschef, der sich gern „Bapak Harto“ (Papa Suharto) nennen läßt, am Samstag sagte.

Für chinesischstämmige Indonesier wie den 35jährigen Optiker David Wijoya, der sich mit seiner Familie am Wochenende zum Flughafen geflüchtet hatte, um so schnell wie möglich das Land zu verlassen, klingt dieses Versprechen wenig beruhigend. Er glaubt, daß die Regierung ihn nicht schützen kann oder will: Er berichtet, Armee und Polizei hätten zunächst nicht eingegriffen, als der Mob durch seine Straße zog. Sein Haus blieb verschont, „aber nur hundert Meter weiter haben die Läden schon gebrannt“, sagt er.

Auch in anderen Vierteln wie Glodok, wo die meisten Geschäfte von chinesischstämmigen Indonesiern geführt werden, erlebten die geschockten Besitzer ähnliches: „Ich habe die Polizisten aufgefordert, uns zu helfen, aber die taten nichts“, sagte der 31jährige Hussein, der seinen kleinen Reparaturbetrieb für elektronische Geräte in Flammen aufgehen sah.

Möglicherweise waren Polizei und Armee völlig unvorbereitet und überfordert, als die Wut der Bevölkerung über die Schüsse gegen die Studenten der Trisakti- Universität am Dienstag plötzlich in Gewalt umschlug.

Einige chinesische Geschäftsleute glauben jedoch, daß die Aktionen „von außen gesteuert waren“ und daß die Armee nicht zufällig untätig blieb. Grund: Nicht die Leute aus dem Viertel selbst, sondern „Fremde“ hätten die von den Besitzern verbarrikadierten Läden aufgebrochen, berichten viele Zeugen übereinstimmend. Einmal aufgestachelt, hätten sich allerdings auch Nachbarn, sogar Frauen und Kinder, an den Plünderungen beteiligt.

Viele Oppositionelle wie der Ökonom Laksamana Sukardi hegen einen dunklen Verdacht: Einflußreiche Kreise im Militär seien interessiert daran, die Wut der Bevölkerung auf die als besonders reich geltende chinesische Minderheit zu richten, um sie vom Präsidenten abzulenken. So könnten die Leute Dampf ablassen. Der englischsprachige Indonesian Observer sah in seinem Kommentar gestern sogar eine „geheime Organisation“ am Werk.

Oppositionspolitiker und einflußreiche Vertreter religiöser Gemeinschaften wie der Chef muslimischen Muhamadiya mit ihren 28 Millionen Mitgliedern haben die Übergriffe gegen die Chinesen verurteilt. Ein Studentenführer sagte nach den Unruhen sogar entsetzt, man müsse überlegen, ob die Studenten weiterhin für Demokratie und Reformen demonstrieren sollten, wenn dies zu derart gewalttätigen Ausschreitungen führe.

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