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Deutschland fühlt sich mißverstanden

Beim ersten offiziellen G-8-Gipfel sperren sich Deutschland und Japan gegen einen Schuldenerlaß für die ärmsten Länder. In Indonesien will sich der Gipfel nicht einmischen und fordert nur allgemein Reformen  ■ Von Ralf Sotscheck

Dublin (taz) – Man demonstrierte Einigkeit: Während des G-8-Gipfels, der gestern im britischen Birmingham zu Ende ging, habe es keine einzige Kontroverse gegeben, freute sich Bundeskanzler Helmut Kohl. Beschlüsse werden bei den Gipfeln der acht wichtigsten Industrienationen ohnehin nicht gefaßt. Die Gruppe der acht ist ein informelles Gremium, das sich einmal im Jahr zum Meinungsaustausch trifft. Die Ergebnisse werden in einer Abschlußerklärung zusammengefaßt.

Neben den indischen Atomtests stand vor allem die Entschuldung der ärmsten Länder der Welt im Mittelpunkt. Dafür hatten auch rund 50.000 DemonstrantInnen gesorgt, die am Samstag eine zehn Kilometer lange Menschenkette um das Konferenzzentrum gebildet hatten. Um Punkt drei Uhr nachmittags begannen sie zu singen und zu tanzen. Die Proteste richteten sich vor allem gegen die deutsche Regierung, die in den vergangenen Wochen in der britischen Presse wegen ihrer mangelhaften Entwicklungshilfe angegriffen worden ist. „Ein Mißverständnis“, sagte Kohl: Die früheren Kolonialmächte England und Frankreich seien eben auf Afrika fixiert, während Deutschland vor allem den ehemaligen Ostblock unterstütze.

Fest steht, daß sich der Achterklub beim Schuldenerlaß nicht einigen konnte und sich mit kompromißfähigen Formulierungen aus der Affäre zog. Vor allem Deutschland und Japan sperrten sich gegen einen einfachen Schuldenerlaß. Sie wollen ihn von politischen und wirtschaftlichen Reformen abhängig machen. Bis zum Jahr 2000 sollen möglichst alle rund fünfzig hochverschuldeten Länder in das bestehende Programm miteinbezogen werden, das den Erlaß von 80 Prozent der Schulden erlaubt – die Einsicht in die Weisheit des Internationalen Währungsfonds (IWF) vorausgesetzt.

Ein Bonner Regierungssprecher sagte: „Wir respektieren die moralische Basis für die Demonstration. Es ist aber nicht besonders hilfreich, die Schulden zu streichen, ohne sich die Folgen anzuschauen.“ Ein Sprecher der japanischen Delegation fügte hinzu: „Wir sind daran interessiert, die Schuldenlast der Entwicklungsländer zu lindern, aber wir ziehen es vor, dies nicht durch einfache Schuldenstreichung zu tun.“

Am Samstag nachmittag zogen sich die Regierungschefs auf den entlegenen Landsitz Weston Park zurück, wo sie unter sechszehn Augen ohne Medien und Zeremoniell reden konnten. Dabei ging es auch um die Lage in Indonesien. Die acht stimmten überein, daß man von außen gar nichts machen könne – außer einer Forderung nach politischen Reformen. Kohl sagte, Präsident Suharto und seine Familie müßten dazu ihren Beitrag leisten. Aber welchen? Das will Kohl mit ihm erörtern, wenn er nach dem Gipfel Kontakt mit Suharto aufnimmt. US-Präsident Bill Clinton sagte: „Wir halten es für wichtig, daß die Regierung den Dialog mit allen Elementen der Gesellschaft eröffnet, so daß echte politische Reformen ermöglicht werden.“

Harmonie auch bei den anderen Themen, die Gastgeber Tony Blair vorgeschlagen hatte: Der Kampf gegen das organisierte Verbrechen, gegen den internationalen Drogengeschäfte und gegen Menschenhändler müsse international koordiniert werden. Dazu sind weitere Konferenzen notwendig.

Es war der erste Gipfel unter dem Namen G8, bisher war Rußland nicht Vollmitglied im Klub der Macht. Weil Präsident Boris Jelzin aber die Osterweiterung der Nato schweigend hinnahm, ist er diesmal gleichberechtigt aufgenommen worden. Am Samstag abend tauchten wieder Gerüchte über Jelzins Gesundheitszustand auf, weil er seine sieben Kollegen nicht zum Popkonzert begleitet hatte. Dabei zeugte das eher von gutem Geschmack: Unter dem Titel „Best of British Pop“ traten Jools Holland und Chris Rea an. Kanzler Kohl sagte denn auch über Jelzin: „Der Mann ist total fit.“

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