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Darf nur Fachpersonal beraten?

■ Zwei Kriegsdienstverweigerern drohen Bußgelder, weil sie andere Pazifisten beraten und vor Gericht vertreten haben

Braunschweig (taz) – In den Sälen dreier Gerichte wurden die angeblichen Gesetzesverstöße begangen, deretwegen zwei 28jährige Totalverweigerer aus Braunschweig gestern vor der Amtsrichterin standen.

Wegen Verstoßes gegen das aus dem Jahre 1935 stammende Rechtsberatungsgesetz mußten sich der Diplom-Mathematiker Detlev Beutner und der Bildhauer Rainer Scheer vor dem Amtsgericht verantworten: Unentgeltlich hatten die beiden Totalverweigerer andere Pazifisten beraten und sie auch in drei Strafverfahren als Rechtsbeistand vertreten. Gegen beide beantragte die Staatsanwaltschaft ein Bußgeld von je 1.200 Mark.

Wer die Rechtsberatung zum sich wiederholenden Bestandteil seiner Tätigkeit mache, übe sie geschäftsmäßig und damit rechtswidrig aus, auch wenn er dadurch keinen Gewinn erzielen wolle, sagte Staatsanwalt Hans Meyer-Ulex, der in dem Verfahren „mit Sicherheit nicht den geringsten politischen Hintergrund erkennen“ konnte. Ins Rollen gebracht hatte das Bußgeldverfahren gegen die beiden Totalverweigerer der Präsident des Braunschweiger Amtsgerichts, Peter Brackhahn, nach Angaben der Verteidigung nicht gerade ein Freund des Pazifismus. Zwei Gerichte aus anderen Bundesländern hatten 1996 dem Amtsgericht Braunschweig Akten aus zwei Totalverweigererprozessen zugesandt, in denen der Diplom- Mathematiker und der Bildhauer zu Rechtsbeiständen nach der Strafprozeßordnung bestellt waren. Anstatt die Akten den Rechtsbeiständen weiterzuleiten, schrieb Brackhahn eigenhändig eine Strafanzeige. Eine Durchsuchung bei den beiden 28jährigen Totalverweigerern folgte. Daß sie in Gesprächen und vor Gericht anderen befreundeten Totalverweigerern geholfen haben, stellten der Bildhauer und der Diplom-Mathematiker keineswegs in Abrede.

Sie erinnerten an das Netz von Beratungsstellen für Kriegsdienstverweigerer, das es seit mehr als 25 Jahren gibt. In diesen Beratungsstellen würden jedes Jahr Zehntausende von Kriegsdienstverweigerern beraten, ohne daß dafür eine Erlaubnis nach dem Rechtsberatungsgesetz vorliege, sagte Detlev Breuer. Er legte der Amtsrichterin zum Beleg eine Selbstanzeige von über 40 Beratern vor, die nach eigenen Angaben „in den letzten zwei Jahren in zusammen mehr als 6.000 Fällen“ potentiellen Kriegsdienstverweigerern rechtlichen Rat erteilt haben. In seinem Plädoyer am Ende des Bußgeldverfahrens, in dem die Amtsrichterin am Mittwoch entscheiden will, gab dann sogar der Rechtsbeistand der beiden Beschuldigten eine Selbstanzeige zu Protokoll. Der pensionierte Richter am Braunschweiger Oberlandesgericht, Helmut Kramer, der nie als Anwalt zugelassen war, gestand ein, jahrzehntelang gegen das den Anwaltsstand schützende Rechtsberatungsgesetz verstoßen zu haben – etwa indem er Verwandte von Opfern der NS-Justiz bei der Annullierung von Unrechtsurteilen unterstützte.

Kramer erinnerte daran, daß das Rechtsberatungsgesetz nach 1935 dazu diente, jüdische, aber auch oppositionelle Rechtsanwälte, die ihre Zulassung bereits verloren hatten, auch den Auftritt als Beistand vor Gericht zu verwehren. Jürgen Voges

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