Kommentar: Keiner redet von Chirac
■ Der Machtkampf der Rechten und die Skandale im Pariser Rathaus
Wer die Gerüchteküche und die Ermittlungen rund um das Pariser Rathaus verfolgt, langweilt sich nicht. Seit Jahren sind dort kleine und große Skandale an der Tagesordnung. Da bewohnen Journalisten städtische Sozialwohnungen zum Schleuderpreis, da wird dem Sohn eines Premiers die Privatwohnung auf städtische Kosten renoviert, und da kassieren Bürgermeistergattinnen satte Gefälligkeitshonorare.
Die Kriterien für den Titel „Bananenrepublik“ hatte das Pariser Rathaus damit längst verdient, als gestern die Bürgermeistergattin Xavière Tiberi wegen eines „fiktiven Beschäftigungsverhältnisses“ im Jahr 1994 in Untersuchungshaft kam. Auch die gestrigen Enthüllungen eines einstigen Personalchefs überraschen wenig. Er erinnerte sich plötzlich an 300 Personen – darunter ein Ministersohn, ein Startänzer und eine Premierministernichte –, die in den 80er Jahren im Rathaus „arbeiteten“: ohne Jobbeschreibung und Büro, dafür aber mit Spitzensalären.
Denn im Pariser Rathaus hat die Vetternwirtschaft Tradition. Seit der historischen Niederlage der Konservativen gegen die Sozialisten im Jahr 1981 bezogen zahlreiche „Opfer“, die ihre Posten im Elysée-Palast und im Parlament verloren hatten, eine neue Stellung in dem Prunkbau an der Seine. Der damalige Bürgermeister sicherte sich damit zugleich eine Unterstützung, die sich Jahre später bewähren sollte.
Heute ist Jacques Chirac Staatspräsident. Davon, welchen Scherbenhaufen er im Rathaus der „schönsten Stadt der Welt“ hinterlassen hat, spricht niemand. Das ist verwunderlich – zumal Tiberi ein Reinprodukt Chiracs ist, in dessen Schatten er jahrelang als Vizebürgermeister gedient hat. Bis heute ist Tiberi einer der treuesten Gefolgsleute Chiracs geblieben. Einer der wenigen französischen Rechten, die dem Staatspräsidenten politisch die Stange halten. Und das, obwohl er im Pariser Rathaus 1995 einen Scherbenhaufen übernahm.
Doch nun hat sich die Lage verändert. Der schwelende Machtkampf innerhalb der geschwächten französischen Rechten ist nun zum offenen geworden. Und weil immer mehr rechte Männer auf die knapp gewordenen Spitzenposten spekulieren, haben der treue Tiberi und seine Gattin Xavière ausgedient. Jetzt sind sie nicht mehr gut genug zum Scherbenkehren. Jetzt müssen sie den Kopf hinhalten. Dorothea Hahn Bericht Seite 5
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