Srebrenica-Flüchtlinge erneut vor Gericht

■ Drei wegen Mordes von einem serbischen Gericht verurteilte Muslime wollen in einem Berufungsverfahren ihre Unschuld beweisen

Sarajevo (taz) – Gestern begann vor einem serbischen Gericht in Bijeljina das Berufungsverfahren gegen sechs von sieben Männern aus Srebrenica, die fast ein Jahr nach dem Massaker von Srebrenica in den Wäldern Ostbosniens herumgeirrt waren und sich schließlich den internationalen Ifor-Truppen ergeben hatten. International hatte der Fall großes Aufsehen erregt, weil die sieben Männer an die Polizei der sogenannten Republika Srpska ausgeliefert wurden. Sie wurden dann von einem serbischen Gericht des Mordes an vier serbischen Holzfällern beschuldigt und am 24. April 1997 zu Haftstrafen zwischen einem und 20 Jahren verurteilt.

Da die Geständnisse nach Meinung internationaler Beobachter durch Folter erpreßt waren, wurde ein Berufungsverfahren erzwungen.

Vier der Angeklagten befinden sich seit Abbüßung einer einjährigen Haftstrafe wieder auf freiem Fuß, die drei zu 20 Jahren verurteilten Hauptangeklagten kämpfen jetzt um ihre Freiheit. Die Neuaufnahme des Verfahrens wurde dadurch erschwert, daß einer der Freigelassenen in der kroatisch- bosniakischen Föderation untergetaucht ist und sich geweigert hat, zu der Neuaufnahme des Gerichtsverfahrens in Bijeljina zu erscheinen. Deshalb wurde die Berufungsverhandlung Ende März schon einmal verschoben.

Die Rechtsanwälte der drei Hauptangeklagten wollen beweisen, daß die Anklage fingiert und die Geständnisse erzwungen waren. Bereits im ersten Verfahren war diese These von serbischen Rechtsanwältinnen vertreten, entsprechenden Hinweisen aber nicht nachgegangen worden.

Ein Beweis für die Unschuld der Hauptangeklagten könnte zudem sein, daß es sich bei einem der präsentierten Toten mit Vlajko Zekić keineswegs um einen Holzfäller, dafür aber um einen mutmaßlichen Kriegsverbrecher handeln soll. Andererseits schließen jedoch auch Menschenrechtsvertreter nicht aus, daß die sieben im Wald herumirrenden Männer aus Angst vor Entdeckung Straftaten begangen haben könnten.

Unterdessen wurden erneut Hunderte von Leichen von Srebrenica-Opfern in Massengräbern gefunden. Nicht weit von Bijeljina und Zvornik entfernt in einem unwegsamen Gelände sind Ausgrabungsteams dabei, Hunderte von Leichen aus Massengräbern freizulegen und zu identifizieren. Es handelt sich dabei um Opfer aus Srebrenica, die im Juli 1995 ermordet worden sind. Schon einmal in Massengräbern verscharrt, wurden die Leichen nach dem Abkommen von Dayton aus Angst vor Entdeckung von den serbischen Behörden in diesen Massengräbern erneut begraben.

Satelliten konnten jedoch auch diese Grabstätten ausmachen. Experten vermuten, daß in den zehn jetzt aufgespürten Massengräbern bis zu 3.000 Leichen liegen. 1996 waren 480 Leichen sichergestellt worden, bevor das Kriegsverbrechertribunal aus Geldmangel die Ausgrabungsteams abziehen mußte. Die jetzigen Ausgrabungen sollen die Anklagen gegen mutmaßliche Kriegsverbrecher wie Radovan Karadžić und Ratko Mladić im Rahmen der Untersuchungen des Kriegsverbrechertribunals in Den Haag erhärten. Noch immer gelten Tausende von Männern aus Srebrenica als vermißt. Bereits mehrmals haben betroffene Ehefrauen in Sarajevo gegen die schleppenden Ermittlungen protestiert und Aufklärung über das Schicksal ihrer Männer gefordert. Erich Rathfelder