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Psychischer Ausnahmezustand

Immer öfter erkennt die Ausländerbehörde Atteste psychisch Kranker nicht als Abschiebehindernis an. Jamal E. nahm Tabletten  ■ Von Silke Mertins

Jamal E. ist eine patente Frau. Als die Libanesin 1990 mit ihrer Familie in einer Pension in der Langen Reihe in St. Georg landete, organisierte sie sich Deutschunterricht und arbeitete sich neben der Kindererziehung sprachlich bis zu einem Hauptschulabschlußkurs hoch. „Außer in der Ausländerbehörde habe ich in den acht Jahren immer nur nette Menschen getroffen“, sagt sie.

Heute liegt die 35jährige in der psychiatrischen Abteilung des Allgemeinen Krankenhauses Harburg. Als sie vor zehn Tagen erfuhr, daß der Petitionsausschuß der Bürgerschaft – mit den GAL-Stimmen – gegen sie und ihre vier Kinder entschieden hatte, nahm sie Tabletten. Hätte man sie nur eine Stunde später gefunden, wäre es für Jamal zu spät gewesen.

„Wie kann ich leben ohne meine Kinder?“ sagt sie. Ihr Mann hat sich von ihr getrennt und ist untergetaucht. Wenn Jamal in den Libanon zurückkehrt, muß sie nicht nur befürchten, daß die Verfolger ihres Mannes auch sie bedrohen. Ihre Schwiegerfamilie wird ihr außerdem die Kinder wegnehmen. Nach islamischem Recht gehören sie zur Familie des Vaters.

Suizidgefahr stand auch in ihrem Attest, daß zunächst die Ausländerbehörde und dann der Petitionsausschuß verwarfen. In der psychiatrischen Klinik kommt die Polizei jede Nacht zu Jamal, um sie zu verhaften und sie in ein Flugzeug zu setzen. „Ich weiß, daß ich das nur träume, aber vor Angst kann ich nicht schlafen.“

Jamal ist kein Einzelfall. Seit Anfang des Jahres erkennt die Hamburger Ausländerbehörde immer öfter ärztliche Atteste nicht als Abschiebehindernis an. „Wir haben schon länger befürchtet, daß auch diese Möglichkeit beschnitten wird“, sagt Anne Harms von der Beratungsstelle fluchtpunkt. „Nun sind allein bei uns acht Fälle aufgelaufen.“

„Das Attest ist unspezifisch und gibt lediglich in medizinischer Verbrämung die Weigerung des Antragstellers, in sein Heimatland abgeschoben zu werden, wieder“, beschied die Behörde zum Beispiel dem Armenier Merujhan H. Wegen Selbstmordgefährdung ist der Flüchtling bis heute in stationärer psychiatrischer Behandlung.

Abgeschoben wurde hingegen der Iraner Mohammed H., zwei Wochen nach einem längeren Psychiatrie-Aufenthalt wurde er in Abschiebehaft genommen. Im Fall des Folteropfers Abbas Joshaghanian führte die Weigerung der Ausländerbehörde, die Atteste anzuerkennen, zu einem erneuten Suizidversuch. Da auch in Teheran eine Behandlung gewährleistet sei, sah man von Amts wegen kein Abschiebehindernis.

Die Ausländerbehörde bestreitet, daß sich der Umgang mit psychisch Kranken seit Jahresanfang geändert habe. „Der Unterschied ist nur, daß Atteste, in denen psychische Behandlungsbedürftigkeit geltend gemacht wird, immer häufiger vorkommen“, sagt Behördensprecher Norbert Smekal. Letztlich sei eine Abschiebung „immer ein psychischer Ausnahmezustand“.

Der GAL-Abgeordnete und Flüchtlingsanwalt Mahmut Erdem findet diese Haltung „nicht akzeptabel“. Wenn ein Flüchtling seine psychische Erkrankung „konkret glaubhaft“ machen könne, sei das zu berücksichtigen. Denn: „Der Gesetzgeber sieht solche Fälle schließlich vor.“ Die Einzelfälle zu klären reicht nach Erdems Ansicht nicht. Die beiden Regierungsfraktionen SPD und GAL müßten sich darüber verständigen, wie mit den Attesten psychisch Kranker in der Ausländerbehörde grundsätzlich umgegangen wird.

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