Eine Straße als Test für den Frieden

In der nordirischen Stadt Portadown steht Anfang Juli die jährliche Oranier-Parade bevor. Wenn die Bevölkerung heute dem Friedensabkommen zustimmt, könnte dies die erste Probe aufs Exempel werden  ■ Aus Portadown Ralf Sotscheck

Noch ist alles ruhig. Die Straße sieht aus wie viele in nordirischen Sozialbauvierteln: Reihenhäuser, ein paar leerstehende Gebäude mit vermauerten Fenstern, ein kleiner Laden, eine Kneipe. Ein Plakat, hoch oben an eine Laterne gebunden, erinnert jedoch daran, daß die Garvaghy Road in Portadown südwestlich von Belfast keine normale Straße ist. „No talking, no walking“ steht darauf: ohne Gespräche keine Parade.

Wenn der protestantische Oranier-Orden am ersten Sonntag im Juli von der Himmelfahrtskirche in Drumcree über die katholische Garvaghy Road ins Zentrum marschieren will, um den Sieg seines Namensgebers Wilhelm von Oranien über den Katholiken Jakob II. vor gut 300 Jahren zu feiern, dann herrscht höchste Alarmstufe in Nordirland. In den vergangenen drei Jahren kam es bei dieser Parade zu Straßenschlachten.

Doch seit Karfreitag gibt es das britisch-irische Abkommen, das heute von der Bevölkerung in beiden Teilen Irlands in getrennten Plebisziten abgesegnet werden muß. Eine Formsache, wenn man Meinungsumfragen glaubt. Aber ob es in der Praxis funktioniert, wird sich nicht zuletzt auf der Garvaghy Road herausstellen.

Kann auf einer knapp 400 Meter langen Straße das Schicksal des Abkommens entschieden werden? Ja, glaubt Breandán Mac Cionnaith. „Portadown ist ein Mikrokosmos von Nordirland“, sagt der 40jährige parteilose Stadtrat. „Wenn die Oranier wieder über die Garvaghy Road marschieren dürfen, dann ist das Abkommen wertlos, denn wenn es hier keine Veränderungen gibt, dann nirgendwo.“ Und was ist mit Sinn Féin, dem politischen Flügel der IRA? Nach Informationen der taz hat die Parteiführung versucht, Druck auf die Anwohner auszuüben, damit sie die Parade durchlassen, um das Abkommen nicht zu gefährden. „Sinn Féin kann sich nicht erlauben, uns im Stich zu lassen“, hofft Mac Cionnaith.

Vorige Woche haben sich alle 32 Oranier-Logen von Portadown einstimmig gegen das Abkommen ausgesprochen. „Sie werden versuchen, es mit ihrer Parade in sechs Wochen zu unterminieren“, glaubt Mac Cionnaith. Er ist Sprecher des Bürgerkomitees von der Garvaghy Road. „Mit der Parade hängen viele andere Dinge zusammen, die im Abkommen angesprochen werden: Menschenrechte, Gleichstellung der Katholiken, Polizeireform. Vor allem der letzte Punkt ist für die Nationalisten von Portadown extrem wichtig – spätestens seit dem Hamill-Fall.“

Robert Hamill war 25, als er vor fast genau einem Jahr mit zwei Cousinen und einem Freund auf dem Nachhauseweg von einer Diskothek in der Innenstadt war. Sie wollten gerade die Market Street überqueren, Portadowns Hauptgeschäftsstraße, als sie an der Ecke von 40 Protestanten überfallen wurden. Die Angreifer hörten auch dann nicht auf zu treten, als Hamill und sein Freund am Boden lagen. Robert Hamill starb elf Tage später, sein Freund überlebte. „Vier Polizeibeamte, die in ihrem Jeep keine zehn Meter entfernt saßen, haben bei dem Mord zugeschaut“, sagt Mac Cionnaith.

Hätte Hamill es über die Market Street in die Woodhouse Street geschafft, wäre er sicher gewesen. Man sieht es der Market Street nicht an, daß sie die Grenze zwischen protestantischem und katholischem Zentrum bildet. Unübersehbar ist dagegen die Mauer mit dem hohen Gitterzaun hinter den Häusern in der Obins Street, einer Parallelstraße der Garvaghy Road. Hier wohnt Breandán Mac Cionnaith, und hier hat auch Robert Hamill gewohnt. Hinter dem Zaun ist loyalistisches Gebiet. Dort haben sie einen Tanz einstudiert, der die Schläge und Tritte gegen Robert Hamill imitiert. Sie tanzen auf der Charles Street in Sichtweite des Hauses, in dem Hamills Familie wohnt. Auf die Mauer haben sie ein Bild des Unionistenchefs David Trimble gepinselt, der für das Abkommen ist: „Trimble sagt, die Union sei sicher. Das war die Titanic auch. Stimmt mit Nein!“

Mac Cionnaith glaubt nicht, daß das Abkommen dazu beitragen kann, den Haß in Portadown zu überwinden. Er selbst geht so gut wie nie zum Einkaufen in die Innenstadt. Im Februar hat eine Absplitterung der IRA auf der Market Street eine Bombe gezündet und mehrere Häuser in Schutt und Asche gelegt, kaum 50 Meter von der Stelle entfernt, an der Robert Hamill ermordet wurde.

Wasser auf die Mühlen des rechtsradikalen Pfarrers Ian Paisley, meint Mac Cionnaith. Paisley hat die Gegner des Abkommens in der Organisation „United Ulster Unionists“ um sich geschart. Doch einig sind sie nicht. „Das Abkommen wird in den Volksentscheiden angenommen“, sagt Mac Cionnaith. „Aber Trimble braucht insgesamt 80 Prozent, sonst behaupten Paisley und Konsorten, daß die Mehrheit der Unionisten gegen das Abkommen gestimmt hat. Und dann ist Trimble geliefert.“

Am liebsten würde Mac Cionnaith auch gegen das Abkommen stimmen, weil er nichts entdeckt hat, das er Nationalisten empfehlen könne: „Polizeireform, Gleichberechtigung für die Minderheit, Menschenrechte – alles auf die lange Bank geschoben. Im September nächsten Jahres kommt ein Bericht, aber für die Umsetzung gibt es keinen Zeitplan. Zehn Jahre, vielleicht zwanzig?“ Wenn er aber gegen das Abkommen stimmt, wird Paisley seine Stimme für sich reklamieren, denn die Wahlzettel werden zentral ausgezählt und sind keinem Wahlkreis zuzuordnen. Deshalb wird Mac Cionnaith heute gar nicht wählen.