„Folter nach Abschiebung ein Einzelfall“

Das Auswärtige Amt will die Abschiebepraxis in die Türkei nicht ändern. Dabei hat die Bundesregierung einem Kurden die Rückkehr nach Deutschland erlaubt, weil er nach der Abschiebung gefoltert wurde  ■ Aus Hannover Jürgen Voges

Es war ein ungewöhnlicher Schritt: Erstmals hatte die Bundesregierung vor zehn Tagen einem abgeschobenen kurdischen Flüchtling erlaubt, wieder nach Deutschland einzureisen, weil er nach seiner Ankunft in der Türkei nachweislich gefoltert worden war. Doch das Schicksal des 32jährigen Mehmet Ali Akbas, dem türkische Polizisten in Istanbul durch Schläge, Tritte und Elektroschocks Verletzungen am ganzen Körper zufügten, soll für die bundesdeutsche Abschiebepraxis ohne Konsequenzen bleiben.

Der jüngste Lagebericht des Auswärtigen Amtes (AA) über die Türkei, der für Asylentscheidungen maßgeblich ist, wertet das Schicksal Mehmet Ali Akbas als Einzelfall. Der niedersächsische Flüchtlingsrat, der sich zusammen mit den Grünen und Pro Asyl für die Wiedereinreise des Abgeschobenen eingesetzt hatte, legte jetzt eine ganze Liste ähnlich gelagerter Schicksale von abgeschobenen kurdischen Flüchtlingen vor und fordert ein Moratorium für Abschiebungen in die Türkei.

Nicht nur ein türkischer Amtsarzt, sondern auch ein Vertrauensarzt des deutschen Konsulats in Istanbul bestätigte, daß Mehmet Ali Akbas im Januar während seiner achttägigen Polizeihaft gefoltert wurde. Der neue Lagebericht des AA nimmt dies mit der Formulierung auf, neben einem Jahre zurückliegenden Fall sei es im März 1998 „in einem weiteren Fall zur Bestätigung von Mißhandlungsvorwürfen“ gekommen. In allen übrigen Fällen, die etwa von türkischen Menschenrechtsorganisationen oder von amnesty international vorgelegt worden sind, hätten sich Behauptungen, ein abgeschobener Flüchtling sei nach der Ankunft in der Türkei gefoltert worden, nicht bestätigen lassen, heißt es in dem neuen Lagebericht.

Das Außenministerium geht zudem davon aus, daß Kurden, die vor der Repression und dem Guerillakrieg in ihren Heimatgebieten fliehen, im Westen der Türkei sicher leben können. Zwar käme es auch in den Kurdensiedlungen türkischer Großstädte zu menschenrechtlich bedenklichen Praktiken türkischer Sicherheitskräfte. Daraus könne man jedoch nicht schließen, für Kurden gebe es in der gesamten Türkei keine innerstaatliche Alternative zur Flucht ins Ausland.

„Schlicht skandalös“ nennt die niedersächsische Grünen-Landtagsabgeordnete Silke Stokar die fehlende Bereitschaft des Innen- und Außenministeriums, Lehren aus dem Fall Akbas zu ziehen. Seit die Bundesregierung im Jahr 1995 mit der Türkei über die Abschiebung von Kurden verhandelt habe, müßten die Abgeschobenen, wie auch Mehmet Akbas, nach ihrer Vernehmung durch die türkische Grenzpolizei eine Bestätigung unterschreiben, daß sie bei der Einreise korrekt behandelt worden seien. Diese Bestätigung werde dann von den türkischen Behörden an das Auswärtige Amt weitergeleitet und diene dort einerseits zur Beruhigung des Gewissens, andererseits als Grundlage der Lageberichte.

Mehmet Akbas wurde von Polizisten in Zivil verhaftet und zur Folterung verschleppt, als er von einem Busbahnhof aus die Heimreise antreten wollte. Fünf ähnliche Fälle aus dem vergangenen Jahr hat jetzt der niedersächsische Flüchtlingsrat dokumentiert, etwa den des Kurden Abdurrahman Kilic. Nach seiner Ausweisung in die Türkei wurde er zunächst bei seiner Einreise festgenommen, eineinhalb Tage verhört und dann wieder freigelassen. Wenige Tage später sei er in Diyarbakir erneut festgenommen und neun Tage lang in der dortigen Antiterrorabteilung schwer gefoltert worden.

Ein ähnliches Schicksal kann einem Cousin von Mehmet Akbas immer noch drohen. Dessen Abschiebung wurde zwar vom niedersächsischen Innenministerium kurzfristig ausgesetzt, als die Verwandtschaft zu dem Gefolterten bekannt wurde. Doch über sein Bleiberecht entscheidet jetzt derselbe Richter, der der Abschiebung von Mehmet Akbas den Segen gab. Jürgen Voges