: Merkel: Die anderen sind schuld
Umweltministerin will nichts von den verstrahlten Atomtransporten gewußt haben und beschuldigt Frankreich. Ökoinstitut: Gesundheitsgefahren für Personal ■ Von Peter Sennekamp
Berlin (taz) – Mit einer scharfen Kritik an den Betreibern, die „ihrer Informationspflicht nicht nachkommen“, versucht Bundesumweltministerin Angela Merkel seit gestern vom völligen Versagen der Atomaufsichtsbehörden in Deutschland, Großbritannien und Frankreich abzulenken. Gerhard Hennenhöfer, zuständiger Abteilungsleiter im Bundesministerium für Umwelt (BMU), erklärte gestern gegenüber der taz, im sogenannten Sumpf der Eisenbahnwaggons unterhalb der Castor-Behälter seien nie Messungen durchgeführt worden, weil dem zuständigen Eisenbahnbundesamt nicht zugemutet werden könne, „direkt am strahlenden Behälter an unzugänglichen Stellen zu messen“.
Ausgerechnet in der Zeit nach dem größten europäischen Atomtransportskandal, der „Transnuklearaffäre“ von 1988, wurden dennoch offensichtlich Meßergebnisse von verstrahlten Atombehälter zurückgehalten. Hennenhöfer machte die „innerfranzösischen Zustände“ verantwortlich, die es den französischen Sicherheitsbehörden „unmöglich gemacht“ hätten, an entsprechende Meßprotokolle der staatlichen Atomfirma Cogema zu gelangen. Er kündigte eine „umfassende internationale Zusammenarbeit der Behörden“ an. Bis dahin sollen alle deutschen Transporte mit abgebrannten Brennelementen ausgesetzt werden. Die Betreiber der Atomkraftwerke Biblis und Isar hatten in den kommenden Wochen Castor- Transporte geplant.
„Man muß wohl sagen, ,angeblich sauber‘ haben die Behälter die deutschen Kraftwerkstandorte verlassen“, räumte das BMU gestern ein, ohne das geringste Versagen bei der Atomaufsicht einzugestehen. Doch dem BMU war seit Jahren bekannt, daß die Castor- Behälter an allen Reaktorstandorten beim Beladen der abgebrannten Brennelemente von kontaminiertem Wasser umgeben sind und strahlende Ablagerungen in Ritzen aufgrund der komplizierten Geometrie der Behälter möglich waren. Trotzdem hätten die Meßprotokolle nie erhöhte Strahlungen angezeigt, behaupten die deutschen AKW-Betreiber und Castor-Transportfirmen. Lapidare Erklärung des BMU: „Das Meßprogramm für die Freimessungen hat die (kontaminierten, d.Red.) Stellen an den Schrauben wohl nicht erfaßt.“ Bereits im September 1995 erklärte jedoch das BMU, daß bei der Brennelementelagerung „die maximale Hüllrohrtemperatur (der Brennelemente, d. Red.) 390°C bzw. 410°C nicht überschreiten“ dürfe, „um Hüllrohrschäden durch Kriechen zu vermeiden“. Gerade dieses „Kriechen“ radioaktiver Partikel ins Kühlwasser der Reaktoren aber findet bei den knapp 1.000°C der Brennelemente im Reaktorbetrieb ununterbrochen statt und hat voraussichtlich die jetzige Castorkontamination verursacht.
Erst jetzt, nachdem jahrelang rund 25 Prozent aller Atommülltransporte ins französische La Hague verstrahlt waren, will Merkel „geeignete technische Maßnahmen, z.B. verbesserte Reinigungsprozeduren vor der Absendung“ sicherstellen.
Gerhard Schmidt vom Darmstädter Ökoinstitut hat die körperlichen Auswirkungen bei Inhalation oder Verschlucken von Partikeln an den verstrahlten Castoren berechnet. Anhand der veröffentlichten Strahlenmengen geht er, wie er der taz mitteilte, von „Gesundheitsgefahren für das Arbeitspersonal“ aus. Das BMU widerspricht diesen Erkenntnissen und stützt sich auf Ergebnisse des Bundesamtes für Strahlenschutz – diejenige Institution, die auch die Genehmigung der kontaminierten Transporte verantwortet.
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