: "Vertrauen ist tief erschüttert"
■ Unruhe und Empörung bei der Polizei: Welcher Strahlenbelastung waren die rund 1.600 Berliner Beamten bei Castor-Transporten ausgesetzt? Polizei setzt Arbeitsgruppe zu der Frage ein
27 Kilometer lang war der Weg, den sechs Castor-Behälter im Frühjahr 1997 bis zum Endlager in Gorleben zurücklegten. Vier Stunden und fünfzehn Minuten dauerte der Transport, begleitet von Berliner Polizisten. „Manchmal waren wir gezwungen, direkt neben den Behältern zu laufen“, erinnert sich der Polizist Hartmut Brandt, „da hatte man doch ein mulmiges Gefühl in der Magengegend.“ Als sich vier Demonstranten von oben auf einen Castor abseilten und festketteten, mußten Berliner Beamte hinaufklettern und sie herunterholen.
Der Personalrat Hartmut Brandt ist einer von 1.560 Berliner Polizisten, die seit 1995 bei Castor- Transporten in Gorleben oder im nordrhein-westfälischen Ahaus eingesetzt wurden. Manche waren mehrfach dabei. Unter ihnen herrscht nun Empörung und Sorge. „Das Vertrauen in die Genehmigungsbehörden ist tief erschüttert“, betont der Berliner GdP-Landesvorsitzende Eberhard Schönberg. Seine Organisation prüft, ob sie Strafanzeige stellt.
Nicht nur Hartmut Brandt fragt sich, was er von den damaligen Versicherungen, die Transporte seien absolut ungefährlich, noch glauben kann. Im Frühjahr 1997 sei jeder Beamte mit einem „Dosimeter“, einem Strahlungsmesser, ausgestattet gewesen. Frauen, so lautete eine Dienstanweisung, durften nicht in Castor-Nähe eingesetzt werden. Für die männlichen Beamten gab es Aufenthaltszeiten, die nicht überschritten werden sollten. Nach dem Einsatz wurden die „Dosimeter“ abgegeben und ausgewertet. Einige Wochen nach dem Gorleben-Einsatz sei jedem Beamten bescheinigt worden, keinerlei Strahlung ausgesetzt gewesen zu sein: „Da gab es Nullen bis drei Stellen hinter dem Komma“, erinnert sich Gewerkschafter Brandt. Nun aber „fehlt mir der Glaube, daß die Auswertung hundertprozentig war“. Die Polizei hat eine Arbeitsgruppe eingesetzt. Sie soll untersuchen, welcher Strahlenbelastung die Beamten bei den Einsätzen tatsächlich ausgesetzt waren. Ergebnisse seien noch nicht absehbar, hieß es.
„Ich bin bitter enttäuscht“, sagt Klaus Eisenreich, GdP-Geschäftsführer. Er habe sich nicht vorstellen können, daß die Beamten bei den Castor-Transporten fahrlässig gefährdet werden könnten. Entsprechend habe er Beamte beraten, die sich vor Einsätzen mit Bedenken bei ihm meldeten. Der Bundesvorsitzende der Polizeigewerkschaft, Hermann Lutz, forderte gestern eine Sondersitzung der Innenministerkonferenz. Dies sei der „einzig sinnvolle Weg, wie man auf die kaum noch zu beschreibende Enttäuschung und den Zorn“ der Beamten reagieren könne. Gerd Nowakowski
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