piwik no script img

Die Geschichte nicht länger ignorieren

Am gestrigen ersten landesweiten „Sorry Day“ entschuldigte sich das offizielle Australien für die jahrhundertelange Diskriminierung und Unterdrückung der Aborigines. Es ist ein zaghafter Versuch der Versöhnung  ■ Von Michael Lenz

Berlin (taz) – Zum ersten Mal ist gestern in Australien ein „Sorry Day“ begangen worden, ein Tag der Entschuldigung bei der indigenen Bevölkerung, den Aborigines. „Sorry Day“ geht zurück auf die Empfehlung einer Regierungskommission, die auf den Tag genau vor einem Jahr dem australischen Parlament ihren Bericht „Bringing them home“ vorgelegt hat. Dieser Bericht über die „gestohlene Generation“ hat die Nation schockiert. Er enthüllte das düsterste Kapitel der Unterdrückung der australischen Ureinwohner.

Seit 150 Jahren, bis in die frühen siebziger Jahre unseres Jahrhunderts, war es von der australischen Regierung geduldete und geförderte Politik, Kinder von Aborigines und Torres Strait Islanders gewaltsam von ihren Eltern und Familien zu trennen und in Umerziehungslager, meist christliche Missionen, zu stecken. Systematisch wurden Abertausende von Ureinwohnern von ihrer Tradition, Religion, Kultur, Sprache und der Verbindung zu ihrem traditionellen Land entfremdet.

Die grausame Politik hatte grausame Namen: Die Ureinwohner sollten „weiß gemacht werden“, aber nur so weit, daß sie als billige Arbeitskräfte genutzt werden konnten. Bis heute ist es eine weitverbreitete Ansicht, Aborigines seien dumm, faul und nicht erziehbar. Durch das Verbot von Ehen zwischen hell- und dunkelhäutigen Aborigines sollte das Verschwinden der Ureinwohner auf „natürlichem Weg“ erreicht werden. Auch diese Politik hatte einen Namen: „Wegzüchten“.

Caroll Kendall vom National Sorry Day Committee hat erst vor elf Jahren ihre Mutter wiedergesehen. Sie war bereits zwanzig, als sie erfuhr, daß sie eine Aboriginal ist. Maurice Serico, 35, hat das seit seinem zwölften Lebensjahr gewußt. „Erst da habe ich gelernt, daß es nicht normal war, einen schwarzen Vater zu haben.“ Maurice' Großeltern erzogen ihren Sohn „weiß“. „Mein Vater mußte selbst seine Identität als Aboriginal wiederfinden.“

Serico, der in Sydney in einem staatlichen Programm zur beruflichen Ausbildung von Aborigines arbeitet, gehört zur „Versöhnungsbewegung“, weiß aber, daß das für alle Australier ein langer Prozeß sein wird. „Wenn man 200 Jahre lang zu hören bekommt, man sei nutzlos, wertlos und schlecht, und immer von Behörden, Regierung, Öffentlichkeit kontrolliert und entmündigt wurde, glaubt man allmählich selbst daran.“

Der gesellschaftliche und politische Umgang mit Aborigines und Torres Strait Islanders ist derzeit einer der zentralen Punkte der politischen Tagesordnung Australiens. Der Versuch der konservativen Regierung unter Premierminister John Howard, die „Native Title“, also die wenigen in den letzten Jahren erkämpften Landrechte der Aborigines, wieder einzuschränken, ist im April gescheitert. Das Repräsentantenhaus, in dem Howards Liberale Partei stärkste Fraktion ist, legte ein Veto gegen den Kompromißvorschlag des Senats ein. Folge ist die Neuwahl des Bundesparlaments am 29. Oktober. Viele Australier fürchten, daß es eine Rassismuswahl werden wird.

Grundlage des „Native Title“ waren in den letzten Jahren einige aufsehenerregende Urteile des Obersten Gerichtshofs. 1992 machte dieser Schluß mit der bis dahin gültigen Vorstellung, daß James Cook 1770 ein „leeres Land“ vorfand, das von der Kolonialmacht ohne Rücksicht ausgebeutet werden konnte. Das sogenannte „Mabo“-Urteil anerkannte, daß die Aborigines und Torres Strait Islanders seit 40.000 Jahren in Australien leben und Rechte an dem Land haben.

Landesweit lagen am gestrigen „Sorry Day“ sogenannte „Sorry Books“ aus. So könne jeder mit eigenen Worten seinem Bedauern Ausdruck geben. Gatijl Djerrkura, Vorsitzender der Aboriginal and Torres Strait Islander Commission, sagte in seinem Sorry-Day- Aufruf: „Die traurige Wahrheit ist, daß viele meiner Leute auch heute noch unter den Folgen der Geschichte leiden.“ Djerrkura forderte die Australier auf, nicht länger die Geschichte ihres Landes zu ignorieren.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen