piwik no script img

Zwei Drittel der Studierenden jobben

■ Neue Zahlen des Studentenwerkes zeigen, daß immer weniger Bafög beziehen. Arbeiterkinder benachteiligt. Mehr Studentinnen

Berlin (taz) – Was das Deutsche Studentenwerk und das Ministerium für Bildung, Wissenschaft, Forschung und Technologie (BMBF) jetzt schwarz auf weiß vorlegen, kann die Studierenden in Deutschland nicht wirklich überraschen: Zwei Drittel müssen regelmäßig arbeiten, um sich ihr Studium zu finanzieren. Das Durchschnittsalter der Studierenden hat weiter zugenommen, und für Kinder aus Arbeiterfamilien ist ein Studium immer noch die große Ausnahme. So steht es im 15. Bericht über das soziale Bild der Studentenschaft in der Bundesrepublik, für den im Sommersemester 1997 über 20.000 Studierende befragt wurden.

Wer in Deutschland studieren will, muß entweder wohlhabende Eltern haben oder nebenbei arbeiten – mit Unterstützung von seiten des Staates können nur die wenigsten rechnen: In den westlichen Bundesländern erhalten nur noch 17 Prozent aller Studierenden Bafög, im Osten sind es noch 30,7 Prozent. Finanzieren können die Bafög-Empfänger damit gerade mal zehn Prozent ihres Lebensunterhalts.

1982 erhielten noch 37 Prozent der Studierenden Unterstützung vom Staat. „Unglaublich, wie die Zahlen in den vergangenen Jahren eingebrochen sind“, befindet Sabine Kiel vom Studentenwerk in Hannover. Die Studierenden erhielten immer weniger Bafög, während die Unterstützung von elterlicher Seite stagniere. Daß sich ein Großteil der Studierenden durch Jobben den Lebensunterhalt sichere und damit den Abschluß hinauszögere, sei die logische Konsequenz. „Kein Wunder, daß die Studierenden hochschulpolitisch den Hintern nicht hochkriegen“, meint Sabine Kiel, „die haben einfach keine Zeit für so was, weil sie arbeiten müssen.“

66 Prozent der Studierenden in Westdeutschland und 56 Prozent in den neuen Ländern arbeiten nicht nur in den Semesterferien, sondern auch in der Vorlesungszeit.

„Alarmstufe rot“ vermeldete deshalb der Präsident des Deutschen Studentenwerks, Hans-Dieter Rinkens, während der gestrigen Pressekonferenz. Er stellte einen Trend zur „Hochschule als geschlossene Gesellschaft“ fest. Der Anteil der Studierenden aus der Arbeiterschicht habe sich in den vergangenen 15 Jahren von 23 auf 14 Prozent reduziert, während der Anteil aus der höchsten sozialen Schicht von 18 auf 29 Prozent angestiegen sei. Erfreulich: Der Anteil der weiblichen Studenten nimmt zu. Gegenüber 1995/96 stieg er um 8 Prozent auf inzwischen 42 Prozent.

Die Forderung des Studentenwerks nach einer grundlegenden Bafög-Reform konnte Hans-Dieter Rinkens angesichts der neuen Sozialerhebung nur erneuern: „Wir brauchen ein staatliches Studienförderungssystem, das Kindern aus einkommensschwachen Familien den Weg zum Hochschulstudium öffnet“ – ein Aufruf an die Adresse des Bildungsministers Jürgen Rüttgers (CDU). Daß die Förderung der Studierenden den Politikern nicht wirklich am Herzen liege, glaubt indessen Sabine Kiel zu wissen. Die 19. Bafög-Novelle, die morgen im Bundestag abgesegnet werden soll, sei lediglich ein Tropfen auf den heißen Stein. Mit dem Beschluß werden die Elternfreibeträge um sechs Prozent erhöht. Heike Spannagel

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen