: Vom Geschäft mit dem Netz
■ Die Internetmesse im ICC wollte mittelständischen Unternehmen das Geschäft mit dem Netz beibringen. Branchenriesen vermitteln Skeptikern Euphorie. 14 Prozent der Haushalte mit Internet-Anschluß
Bereits im Jahre 2097 befindet sich der Berliner Underground- Poet Horst Evers. Er lächelt süffisant und liest vor Publikum über Riesenschlangen mit enormen Verdauungstrakten, die es in hundert Jahre geben soll. Ein paar Meter weiter streunt der holländische Theaterproduzent Erik Aufderheyde zwischen den Ständen herum. Er sucht nach Internet- Technologie für ein Beckett-Projekt im Jahr 2001. Es soll in Berlin und Amsterdam aufgeführt und live ins Internet übertragen werden.
Evers und Aufderheyde sind Paradiesvögel auf der „Internet World“, die in den letzten Tagen im ICC stattfand. Die Messe drehte sich um die magischen Kanäle des Internets, die zunehmend von Geschäftsleuten als Vertriebswege entdeckt werden. In den Medien machte kürzlich die Nachricht von einer „Internet- und Informationssucht bei Managern“ die Runde, während eine Handvoll Kritiker immer negativer über die Inhalte des Netzes urteilte und empfahl: „Geht doch lieber spazieren!“ Dabei wissen auch sie, daß die Welt am Internet nicht mehr vorbeikommt. Es ist da und will genutzt werden. Jetzt müssen nur noch alle ans Netz – als User, als Verbraucher und vor allem als Käufer.
Damit hapert es in Deutschland noch ein wenig, auch wenn ein explosionsartiges Wachstum immer öfter verkündet wird. Nur etwa 14 Prozent aller deutschen Haushalte verfügen mittlerweile über einen Netzzugang, und mittelständische Unternehmen betrachten den Online-Vertrieb mit skeptischen Blicken.
„Internet meets business“ hieß das Motto der Messe, und damit ist beinahe alles gesagt. In zwei Hallen des ICC boten 248 Aussteller ihre Dienste an. Ihre Zahl hat sich im Vergleich zum Vorjahr mehr als verdoppelt. Von Branchenriesen wie Microsoft, AOL und Telekom über Anbieter von speziellen Internet-Technologien bis hin zu Werbeagenturen war alles vertreten. Etwa 27.000 Besucher wurden erwartet, 16.000 mehr als im Jahr zuvor. Neben gedämpften Verkaufsgesprächen, die erst zu fortgeschrittener Stunde und nach Genuß von Alkoholika an einigen Ständen etwas hektischer wurden, fand parallel dazu ein Kongreß statt, der sich schwerpunktmäßig den Themen Handel, Marketing und Sicherheit im Netz widmete.
„E-Commerce“ ist das Zauberwort, auch wenn sich dahinter laut Ferenc Szelenyi von IBM Europe nichts Neues verberge. Es handele sich nur um eine „Verlagerung traditioneller Kommunikationswege“. Damit das möglichst umfassend gelingt, müßten die Hauptprobleme bei Transaktionen im Internet aus dem Weg geräumt werden. Im Grunde geht es darum, wer was wann und wie über das Netz bestellt und eben auch bezahlt. Neben anderen Störungen durch weltweit etwa 40.000 Hacker träten gegenwärtig ungefähr 25 Prozent der Kunden von Bestellungen mit der Behauptung zurück, sie hätten diese nie getätigt. Ein teures Geschäft, vor allem für Kreditkartenunternehmen. Daß der Weg von der technischen Seite so gut wie vollendet ist, merkt Ferenc Szelenyi in seinem Schlußsatz an: „It's not about technology, it's about business.“
Euphorisch war die Rede von Wertschöpfungsketten und virtuellen Unternehmen. Prognosen erwarten mitunter in Europa ein Wachstum der Online-Umsätze von 1,2 Milliarden US-Dollar 1998 auf über 60 Milliarden US-Dollar im Jahr 2001. Ein Hauch von Goldgräberstimmung. In einem Vortrag appellierte ein Microsoft-Mitarbeiter für das Internet als Freihandelszone. Jeder, der vor diesem Auditorium anderes behauptete, hatte keine guten Karten. Ein Redner der EU-Kommission soll es am frühen Morgen tatsächlich gewagt haben. „Das kam nicht gut an“, berichtet ein etwa dreißigjähriger Unternehmensberater aus Wien. Ralf Knüfer
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