Klassenkämpfer im feinen Zwirn

Die Berliner ÖTV plant einen Warnstreik gegen ihren ehemaligen Chef Kurt Lange. Der Gewerkschafter sitzt seit kurzem im Vorstand des Energieversorgers Bewag – und hält Lohnforderungen auf einmal für überhöht  ■ Von Hannes Koch

Berlin (taz) – Der Manager blieb hart. Das letzte Angebot. Basta. Sprach's und klappte seine Mappe zu. Dann verließ der Unterhändler des Berliner Energieversorgers Bewag den Saal. Zurück blieben die konsternierten Gewerkschafter – und ihre Forderung nach einer Lohnerhöhung. Jetzt ist Warnstreik angesagt: Für kommenden Dienstag planen die Gewerkschaft Öffentliche Dienste (ÖTV) und Deutsche Angestelltengewerkschaft (DAG) in Berlin den Ausstand.

Eigentlich ein normaler Vorgang. Wenn Unterhändler Kurt Lange bis vor drei Monaten nicht Chef der Berliner ÖTV gewesen wäre. Dann wechselte er als Arbeitsdirektor in den Vorstand der kurz zuvor privatisierten Bewag.

Die Abgesandten der Belegschaft im Aufsichtsrat des Unternehmens hatten den 51jährigen Lange vorgeschlagen – auf daß er sich auch in der Chefetage ihrer Interessen annehmen möge. Nun meint der stellvertretende ÖTV- Chef Uwe Scharf: „Kurt Lange hat seine Rolle zu spielen.“

Neue Zeiten: Hartmut Friedrich, Vorsitzender der Berliner DAG, kann sich für die „letzten zwanzig Jahre“ an keinen Streik bei einem bundesdeutschen Energieversorger erinnern. Denn die großen Stromkonzerne – vom Gesetz mit einträglichen Monopolgebieten ausgestattet – verdienten sich dumm und dämlich. Gern gab man den Belegschaften ein paar Mark ab. Interessanterweise droht jetzt gerade bei dem einzigen deutschen Energiekonzern der erste Warnstreik, dessen Aktien teilweise in ausländischem Besitz sind. Das Land Berlin hatte die Anteile 1997 an die US-amerikanische Southern Company sowie an Veba und Bayernwerke verkauft. Die neuen Eigentümer wollen ihren Teil vom Profit – und verlangen vom Neuling in der Chefetage, dieses Interesse in den Lohnverhandlungen angemessen zu berücksichtigen.

Von Tarifverhandlungen bei den großen Berliner Landesbetrieben – früher riesige Wasserköpfe und uneinnehmbare Gewerkschaftsbastionen – sind die Arbeitnehmer etwas anderes gewohnt. Der Ton Kurt Langes sei „eiskalt und arrogant“ gewesen, beschwert sich DAG-Funktionär Friedrich. Das will die ÖTV zwar nicht so sehen, aber auch deren Verhandler Jörg Stumpf räumt ein: „Ein Unterschied zur alten Gangart.“ Denn selbst nach dem besten jemals erreichten Geschäftsergebnis (1996/97) habe der Konzern nur maximal 2,5 Prozent mehr Lohn geboten. Die Gewerkschaften fordern 3,7 Prozent.

Einen schärferen Gang legte Kurt Lange schon immer ein, hatte er einen neuen Posten erklommen. Nachdem er 1987 einen väterlichen Traditionsfunktionär als ÖTV-Chef abgelöst hatte, ging Lange ziemlich schnell auf Distanz zur bislang verbündeten SPD. Raffiniert und durchtrieben gelang es ihm zumindest, die Jobvernichtung und Privatisierung im Staatssektor zu verlangsamen. Mit der SPD-Finanzsenatorin Annette-Fugmann Heesing verbindet ihn eine gepflegte Feindschaft. Obwohl neun Jahre unbestrittener intellektueller und politischer Kopf der Berliner Gewerkschaften und einer der einflußreichsten Männer der Nachwende-Stadt, markierte Lange immer Distanz – zu jedem Milieu. In feines italienisches Tuch gewandet, zog er sich bei Streikdemonstrationen die argwöhnischen Blicke der Müllkutscher in ihren speckigen Klamotten ebenso zu, wie er sie mit einfachen, schneidenden, mitunter radikalen Parolen gegen den Senat aufputschte.

Nach Lehre, Abitur auf dem zweiten Bildungsweg, Studium und Promotion entwickelte sich Kurt Lange zum Arbeiterboß neuen Typs: zum Gewerkschaftsmanager, der jenseits politischer Loyalitäten die Qualität der Dienstleistung sichern oder steigern wollte, die seine Mitglieder erwarteten.

Diese Eigenschaft prädestinierte ihn für einen Vorstandsposten bei der Bewag – zumal Lange nie einen Hehl daraus gemacht hatte, daß er seine Karriere keinesfalls als Bezirksfürst der ÖTV beenden wollte. Als Lange die Seite wechselte, gelang es der ÖTV noch knapp, allzu starke Kritik aus den eigenen Reihen am Wandel vom Privatisierungskritiker zum Vorstand eines privatisierten Konzerns zu unterbinden. „Ein normaler Akt gewerkschaftlicher Mitbestimmung“, war damals die Sprachregelung. Damit könnte jetzt Schluß sein: „Mit der Zunahme des Gehalts reduziert sich offensichtlich auch die soziale Kompetenz“, pöbelt es schon bei der DAG.

Noch freilich ist der Tarifkonflikt nicht voll ausgebrochen. Für Dienstag hat der Arbeitermanager zum erneuten Gespräch geladen. „Dann werden wir uns wieder bei Dr. Lange einfinden und erwarten ein verbessertes Angebot“, meint ÖTV-Mann Stumpf.