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: Ein Kurdologenkongreß in Dahlem

Irgendwie geistert ja doch noch das Bild vom „wilden Kurdistan“ durch unsere Köpfe. Vielleicht zeitgemäß aufpoliert durch GuerillakämpferInnen oder sich selbst verbrennende AutobahnblockierInnen. Kein Wunder, daß es hiesigen PolitikerInnen so leicht fiel, Angst vor einer illegalen Einwanderungswelle zu schüren, als im Dezember einige hundert kurdische Flüchtlinge an Italiens Küste strandeten und um Asyl baten.

Wer überhaupt sind KurdInnen? In der Vergangenheit gab es ohnehin keine systematische Forschung, und in der Türkei und dem Irak gilt die wissenschaftliche Beschäftigung mit kurdischen Fragen gleich als Separatismus. WissenschaftlerInnen riskieren hohe Gefängnisstrafen. „Auch an der Freien Universität Berlin dachten manche sofort an PKK-Propaganda, wenn sie von Kurdologie hörten. Das hat sich aber geändert“, meint Stephan Klein. Der Soziologiestudent ist Mitinitiator des Projekts Kurdologie, mit dem an der FU seit dem Wintersemester 1995/96 wissenschaftliches Neuland betreten wird. Das Projekt widmete sich dem Thema bisher mit zwei Ringvorlesungen und einer Gastprofessur aus historischer, politologischer, ethnologischer und soziologischer Sicht. Diese Aspekte werden auch im Mittelpunkt des Kongresses „KurdInnen als Subjekte und Objekte politischer und sozialer Prozesse“ stehen, den die KurdologInnen an diesem Wochenende mit internationaler wissenschaftlicher Beteiligung organisieren.

Thematisiert wird unter anderem, ob durch die Idealisierung des einfachen Landlebens in den Bergen nicht vergessen wird, daß die Mehrheit der KurdInnen mittlerweile in den Städten lebt; ob der kurdische Nationalismus als Antwort auf die türkische Ausgrenzungspolitik nicht selbst Züge von Unterdrückung trägt; welche Folgen das Erstarken islamischer Bewegungen in Kurdistan hat; ob durch das Selbstbild vieler KurdInnen als Opfer ausländischer Mächte ausgeblendet wird, daß in den dreißiger Jahren eine hitlerfreundliche kurdische Strömung existierte, die die KurdInnen zu „wahren Ariern“ stilisierte. Die VeranstalterInnen wollen, daß die kurdische Realität in der Öffentlichkeit komplex diskutiert wird. Dazu sei eine dauerhafte Absicherung der Forschung durch die Einrichtung eines eigenständigen Teilstudienganges nötig, lautet die Forderung. Peter Nowak

Bis 31.5., Harnack-Haus, Ihnestraße 16-20, Tel. 83909124