: Wohnte Lisa in den Gipshöfen?
■ „Raum von Sprache – Sprache im Raum“ im Jazz-Radio
Für eine weihevolle Dichterlesung wäre das Foyer des Senders Jazz-Radio in den Gips-Höfen kaum geeignet gewesen. Aber das beabsichtigt Marlene Streeruwitz mit ihren skizzenhaften Texten auch nicht. Pünktlich um 21 Uhr betrat der Moderator das kastenförmige Studio. Man konnte ihn hinter Glas beobachten, versunken unter Kopfhörern. Der Architekt, der den Innenausbau beim Jazz- Radio kostengünstig mit Tusma- Studenten erledigte, war auch da: sehr stolz auf das Geschaffene.
Neben Marlene Streeruwitz saßen zwei weitere Architekten auf dem Podium, Swantje und Oliver Kühn, verantwortlich für den Umbau der Gips-Höfe. Um Autoren und Architekten ins Gespräch zu bringen, veranstaltet die LiteraturWerkstatt mit dem Bund deutscher Architekten die Reihe „Raum von Sprache – Sprache im Raum“. Aber die Sprachen der beiden Künste sind sehr verschieden, auch wenn es jeweils irgendwie darum geht, private Räume zu veröffentlichen und solide Konstruktionen zu entwerfen.
Streeruwitz las mädchenhaft bescheiden, die Hände im Schoß gefaltet, aus ihrem Groschenheft- Roman „Lisas Liebe“. Neben dem Buch lag die Fernbedienung für den Diaprojektor. Zum Text zeigte sie alte Urlaubsfotos: das Meer, die Berge, Sommer und Winter. Menschenleere Bilder, die den Text öffnen und schweben lassen. Einige davon sind auch in „Lisas Liebe“ enthalten. Lisa Liebich, 39 Jahre alt, hat Dr. Adrian einen Liebesbrief geschrieben und wartet auf Antwort. Da kann sie lange warten.
Bei einem Umbau, sagte Swantje Kühn, „geht man in die Seele des Gebäudes“. Eine Ikone für das neue Berlin habe man schaffen wollen, Neues aus Vorhandenem entwickeln, verkündete ihr Mann Oliver. Das Neue klingt im Architektendeutsch dann etwa so: „Durch die Applikation von Lichtinstallationen wurden die vorgefundenen schmalen und niedrigen Hofdurchgänge offensiv akzentuiert und der Eindruck von Enge gezielt relativiert. Diese lichtsemantischen Markierungen erzeugen einen soghaften Rhythmus in der Perspektive der Durchwegung von Sophienstraße zur Gipsstraße.“
Das ist zweifellos hohe Dichtkunst. Der Gesprächsversuch mit der Literatur blieb dennoch in Ansätzen stecken. Ungeklärt auch die Frage, ob eine Figur wie Lisa Liebich im richtigen Leben in den Gipshöfen wohnen würde. In einer „durchgenormten Wohnung nach dem 2. Förderweg vielleicht“, meinte Swantje Kühn. Sie wäre doch „ästhetisch völlig überfordert mit der ästhetischen Situation“, vermutete der arme Moderator, der Galerist Michael Krome. Da war Streeruwitz ernsthaft erzürnt. Lisa sei kein provinzieller Dummkopf, und am Ende des Buches geht sie nach Amerika, in eine offene Zukunft. Wer weiß, vielleicht wohnt sie ja längst in einem schicken Loft in L.A. Jörg Magenau
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen