: Suche nach dem Glauben bleibt umstritten
Ist Religion Privatsache? Die Enquete-Kommission des Bundestags zu „sogenannten Sekten und Psychogruppen“ hat sich auf einen Abschlußbericht geeinigt – doch ihre Gesetzesvorschläge stoßen auf Widerstand ■ Von Axel Kintzinger
Berlin (taz) – Diese Kommission war nicht gerade ein Wunschkind des Bundestages. Noch zum Zeitpunkt ihrer Einsetzung vor zwei Jahren mäkelten etwa die Grünen, eine Enquete-Kommission zur Zukunft der Arbeit sei dringender und notwendiger als eine zu „sogenannten Sekten und Psychogruppen“, wie es im etwas ungelenken Titel des Ausschusses heißt.
Zudem war die Zuständigkeit eines parlamentarischen Gremiums für ein Thema, das viele ausschließlich zur Privatangelegenheit erwachsener Bürger erklären, stets umstritten. Vorgeworfen wurde der Kommission überdies, nicht die Aktivitäten der sektiererischen Gruppen innerhalb der beiden großen Kirchen auf die Tagesordnung gesetzt zu haben.
Der Abschlußbericht steht nun unmittelbar vor seiner Verabschiedung, am 19.Juni soll der Bundestag darüber debattieren. Die zentralen Handlungsanweisungen zielen auf einen verbesserten Verbraucherschutz im schwer durchschaubaren Psychomarkt. Dabei soll die sogenannte gewerbliche Lebensbewältigungshilfe gesetzlich geregelt werden. Dazu gehört etwa eine Aufklärungspflicht über Methoden und Kosten der angebotenen Therapien und Kurse. Der Gesetzentwurf findet zwar im zuständigen Ausschuß des Europäischen Parlaments wie auch in den Bonner Koalitionsfraktionen Zustimmung, im Bundeskanzleramt allerdings nicht. Dort lehnt man die Novelle ab und schiebt das Thema auf die ganz lange Bank.
Unklar sind die Chancen der Enquete-Forderung nach einer Bund-Länder-Stiftung. Sie soll der Fortbildung zum Thema dienen und auch Initiativen unterstützen, die Sekten-Opfern beistehen. Auch die Empfehlung, staatliche Beihilfen für Betroffenen-Initiativen gesetzlich abzusichern, dürfte zumindest juristisches Bauchgrimmen auslösen. Denn seit einem Urteil des Bundesverwaltungsgerichts von 1992 muß der Staat sich dabei zurückhalten – wegen der Neutralitätspflicht, die das Grundgesetz ihm in kirchlichen Dingen auferlegt.
Ihre Handlungsempfehlungen traf die Kommission mehrheitlich, aber nicht einmütig. Die Grünen haben ein 100 Seiten dickes Sondervotum angekündigt, mit dem sie sich von den Beschlüssen distanzieren wollen. Vorab-Unterstützung haben sie jetzt von sechs Honoratioren bekommen, die überwiegend dem politisch rechten Lager zuzuordnen sind. Der frühere SPD-Verteidigungsminister Hans Apel, Gerhard Besier, Niels Birbaumer, Martin Kriele, Hermann Lübbe und Erwin Scheuch beschuldigen die Kommission der „Ketzerhysterie“.
Duktus und Stil des vierseitigen Papiers ähneln K-Gruppen- Pamphleten der 70er Jahre. Da werden die Enquete-Mitglieder zu „Agenten der konkurrierenden Religionsgesellschaften“ erklärt, orten die Autoren „inquisitorische Arbeit der Sektenjäger“, ist von Journalisten die Rede, die sich, „im Dunstkreis der Enquete-Kommission“, auf „Sekten- und Psychogruppenjagden spezialisiert“ hätten. Auch die Faschismus-Keule kommt zum Einsatz: Der Eindruck müsse verhindert werden, „der deutsche Staat beteilige sich wiederum an der Diffamierung und Diskriminierung von religiösen und weltanschaulichen Minderheiten“.
„Bewußt oder unbewußt“, entgegnet die Kommissions-Vorsitzende Ortrun Schätzle (CDU), „verbreiten die Autoren ohne Kenntnis des Abschlußberichts nahezu ausschließlich Falschinformationen und Fehlinterpretationen.“ Schätzles Erklärung wird von allen Kommissionsmitgliedern mit Ausnahme der Grünen getragen. Sie endet mit dem Satz: „Über die Motive der Autoren kann nur spekuliert werden.“
Das fällt allerdings nicht schwer. Mindestens drei der Professoren sind in diesem Zusammenhang keine Unbekannten. Der Staatsrechtler Martin Kriele hat seine Unterstützung etwa für den „Verein zur Förderung der Psychologischen Menschenkenntnis“ (VPM), den selbst die Bild-Zeitung als „rechte Psychosekte“ bezeichnete, öffentlich ebenso dokumentiert wie der Kölner Soziologe Erwin Scheuch. Und auch der Kirchenhistoriker Gerhard Besier gilt als befangen. In einem Prozeß setzte er sich für eine dubiose Psycho- Gruppe ein. Deshalb hatte die Enquete-Kommission davon abgesehen, ihn als Experten zu laden.
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