: Die anderen Schilde der Partei
■ Endlich liegt ein Handbuch vor, das sich der Geschichte, dem Personal und dem Aufbau der bewaffneten Organe der DDR widmet
An seiner Gewaltfähigkeit und -bereitschaft entscheidet sich das Verhältnis eines Staates sowohl zu seinen Nachbarn wie zu den eigenen BürgerInnen. Die stets international zur Schau gestellte Bereitschaft der DDR-Führung zu einer Politik der Abrüstung und Entspannung hatte somit schon angesichts der Situation an ihren Grenzen immer einen schalen Beigeschmack. Sie ging zudem einher mit steten Bemühungen, die Repression nach innen zu vervollkommnen. Daß sich diese Aufgaben nicht allein auf die Staatssicherheit beschränkt, ließ sich zumindest erahnen. Aussagekräftige Belege hingegen waren eher rar. Selbst während der Wende und nach der deutschen Vereinigung konzentrierte sich die Aufmerksamkeit im wesentlichen auf die Stasi. Die Polizei zog lediglich den Blick kurzfristig auf sich, als sie während der Demonstrationen im Herbst 1989 brutal vorging. Mit der Übertragung des westdeutschen Polizeisystems auf die neuen Bundesländer verschwand die Deutsche Volkspolizei nachhaltig aus dem öffentlichen Bewußtsein.
„Im Dienste der Partei. Handbuch der bewaffneten Organe der DDR“ widmet dem Ministerium für Staatssicherheit lediglich rund 50 von 720 Seiten. Die übrigen gelten der Nationalen Volksarmee/ NVA, der Zivilverteidigung und vor alem dem Polizeisystem der DDR. Das ist gut so. Das Material für ihr Handbuch fanden die Autoren des Militärgeschichtlichen Forschungsamtes in Potsdam hauptsächlich im Koblenzer Bundesarchiv; entstanden ist ein voluminöses Werk mit einer Vielzahl bisher unbekannter Details zu Personalfragen, Einsatzprinzipien, Strukturen, Bewaffnung und Ausrüstung der DDR-Sicherheitsorgane.
Ein weiterer weißer Fleck innerhalb der in Deutschland ohnehin nicht sonderlich ausgeprägten Polizeiforschung ist damit nun getilgt. Möglich wird damit erstmals auch ein direkter Vergleich zwischen den beiden deutschen Nachkriegspolizeien – und der weist, bei aller Unterschiedlichkeit der (politischen) Systeme, eine Menge Paralellen auf. Gaben in der DDR der 50er Jahre aus Westdeutschland eingesickerte bewaffnete Banden die Bedrohungsmuster und Übungsszenarien der Bereitschaftspolizei ab, so waren es auf BRD-Seite kommunistisch infiltrierte Arbeiteraufstände. Häuserkämpfe hatten so auf beiden Seiten bei der Ausbildung ihren festen Platz. 1956 wurde die NVA aus der kasernierten Volkspolizei rekrutiert, im Westen die Bundeswehr aus dem Bundesgrenzschutz; wird im Osten die Deutsche Grenzpolizei schrittweise Bestandteil der Grenztruppen, spiegelt sich das im Westen im Kombattantenstatus des Bundesgrenzschutzes im Kriegsfalle (bis 1994).
Die Beispiele ließen sich fortsetzen, die verfeindeten beiden deutschen Systeme waren bei aller Unterschiedlichkeit an diesem Punkt so verschieden eben doch nicht. Damit keine Mißverständnisse aufkommen, mit Gleichsetzung hat ein solcher Vergleich nichts zu tun. Die polizeiliche und (para)militärische Durchdringung des Alltages in der DDR war ohne Zweifel erheblich umfassender und spielte bei der Sozialisation und Integration insbesondere der männlichen Bürger eine zentrale Rolle. Doch gerade an den Polizeien der beiden ungleichen Brüder zeigt sich,wie ähnlich die Regierungen im Umgang mit der Machtabsicherung im Innern dennoch waren.
„Im Dienste der Partei“ ist ein längst überfälliges Buch, das seinem Charakter als Handbuch auf allen Ebenen gerecht wird. Die notwendigen Rahmendaten liegen damit vor und warten auf ihre weitere Aufarbeitung und Interpretation durch Gesellschaftswissenschaftler. Vielleicht ließe sich diesem neuen Buch des Christoph Links Verlages über einen solchen Umweg dann eine breitere öffentliche Wahrnehmung bescheren, die ihm derzeit wohl versagt bleiben wird. Mit seiner spezialisierten Thematik und der wissenschaftlichen Darstellung wird es nur einen begrenzten Leserkreis erreichen können. Das allerdings ist den Autoren nicht vorzuwerfen. Otto Diedrich
Torsten Diedrich, Hans Ehlert, Rüdiger Wenzke (Hg.): „Im Dienste der Partei. Handbuch der bewaffneten Organe der DDR“. Christoph Links Verlag, Berlin 1998, 720 Seiten, 48 DM
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