: Grill-in gegen Bahn-Saubermänner
KünstlerInnen und politische Initiativen wollen gegen den Sauberkeits- und Sicherheitswahn auf Bahnhöfen protestieren: Heute beginnen die „Innenstadtaktionstage gegen Privatisierung und Ausgrenzung“ ■ Aus Berlin Kirsten Küppers
Eine Frau versucht vergeblich, am Fahrkartenautomaten eine Fahrkarte zu kaufen. Das Geld rutscht durch, eine Videokamera filmt mit. Über Funk werden zwei Bahnbedienstete alarmiert: „Kundschaft“. Die Szene aus dem Schulungsfilm der Bahn ist typisch für das „3S“-Kontrollsystem, womit die Bahn ihr Konzept vom „neuen Bahnhof“ umsetzt. „Service, Sicherheit, Sauberkeit“: das soll der Kunde künftig auf Bahnhöfen finden.
Dieses Sauber-und-sicher-Konzept mißfällt vielen politischen Initiativen und KünstlerInnen, die auch in diesem Jahr wieder eine „Innenstadtaktionswoche gegen Privatisierung, Ausgrenzung und Sicherheitswahn“ ins Leben riefen. Vom 2. bis 7. Juni wollen sie mit Happenings und Spontanaktionen in Hamburg, Berlin, Frankfurt und anderswo gegen die „Privatisierung von öffentlichen Räumen“ protestieren.
Am Mittwoch werden am Berliner Alexanderplatz „paranoide Massen“ therapiert, am Samstag wird im Hamburger Hauptbahnhof Aerobic getrieben. Außerdem zeigen die Veranstalter auf Bahnhöfen und deren Vorplätzen Filme, es wird gegrillt oder nur einfach öffentlich ferngesehen.
Die Bahn sieht auch fern, aber anders: Die Bahnhöfe – so der DB- Pressetext – werden „zur Sicherheit unserer Kunden, aber auch zum Schutz gegen Vandalismus teilweise kameraüberwacht oder von der Bahnschutzgesellschaft (BGS) betreut“. Diese Bahnschützer arbeiten „bei Gefahrensituationen“ eng mit Bundesgrenzschutz und Polizei zusammen. Das Ergebnis: „Die deutschen Bahnhöfe sind selten in den negativen Schlagzeilen“, stellt Henrik Riedinger vom Geschäftsbereich Personenbahnhöfe der Deutsche Bahn AG erfreut fest.
Seit ihrer Privatisierung ist die Bahn nicht mehr nur ein Transportmittel, sondern auch ein Grundstücksunternehmen. Mit 150.000 Hektar Grundfläche im geschätzten Wert von 13,4 Milliarden Mark ist die Deutsche Bahn AG Deutschlands größter Immobilienbesitzer. Sie verwaltet nicht nur große Flächen in zentraler Lage, sondern baut auch im Zuge ihres Programms der „Rennaissance der Bahnhöfe“ 27 Verkehrsstationen zu schicken Shopping- Meilen und Dienstleistungszentren aus. Der Versuch, das graue Schmuddel-Image der Bahnhöfe aufzupolieren, zeigt angeblich bereits Erfolg: Reisende und Besucher würden sich inzwischen „deutlich wohler fühlen“, heißt es im DB-Pressetext.
Die VertreterInnen der diesjährigen Aktionstage sehen das anders. Sie kritisieren die Einführung von Gepäckmännern in Uniform, schlechtbezahlten Putzkolonnen und Wartesälen erster und zweiter Klasse in Bahnhöfen wie Frankfurt am Main und Leipzig. Allein 224.000 Platz- und Hausverweise auf Berliner Bahnhöfen im letzten Jahr verdeutlichen für die InnenstadtaktivistInnen die gezielte Vertreibung bestimmter Gruppen, wie etwa Punks und Obdachlose, die vorher Bahnhöfe und deren Umgebung als Rückzugsräume nutzen konnten. Die VeranstalterInnen der Innenstadtaktionswochen haben die Deutsche Bahn AG als wichtigen Akteur bei der Neuordnung öffentlicher Räume ausgemacht. An dem Umbau der Bahnhöfe könne die allgemeine Entwicklung der Innenstädte aufgezeigt werden, so die Veranstalter: Es werden zunehmend Konsumzonen privatisiert, Sicherheitsdienste schießen wie Pilze aus dem Boden, und wer nicht einkauft, wird mehr und mehr vertrieben.
Initiiert werden die Innenstadtaktionstage 98 von einem überregionalen Bündnis unterschiedlichster Initiativen. Mit dabei sind feministische und antirassistische Gruppen und KünstlerInnen. Die Innenstadtaktionstage fanden das erste Mal im Juni vergangenen Jahres statt – eine Protestform ganz ohne die üblichen „Transpis“ und „Lautis“ herkömmlicher Demonstrationen.
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