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1.000 Mark für jeden Monat Zwangsarbeit

■ Der Nürnberger Rüstungskonzern Diehl zahlt „freiwillig“ an ehemalige Zwangsarbeiterinnen

Nürnberg (taz) – Für jeden Monat Zwangsarbeit, die KZ- Häftlinge unter unmenschlichen Bedingungen und ständiger Todesangst machen mußten, zahlt der Nürnberger Rüstungskonzern Diehl 1.000 Mark. Nach langen Gesprächen sind die Vereinbarungen zwischen der Firma und den ehemaligen jüdischen Zwangsarbeiterinnen nun unterschrieben. Die Unterlagen liegen der taz vor. Insgesamt wird das Familienunternehmen wahrscheinlich rund zwei Millionen Mark an die Frauen bezahlen, die von Januar 1944 bis Kriegsende im polnischen Peterswaldau und Lagenbielau Zünder und Granaten zusammenbauen mußten.

„Das ist keine Entschädigung für Zwangsarbeit, sondern eine freiwillige Zuwendung für auf unserem Grund und Boden erlittenes besonderes Leid“, betont Herbert Wust, Leiter des Büros der Geschäftsleitung der Diehl GmbH, gegenüber der taz. Um an ihr Geld zu kommen, müssen die Frauen denn auch notariell beglaubigt erklären, daß sich aus ihrer Zwangsarbeit „kein Rechtsanspruch auf Zahlung“ ableitet. Der Konzern habe den Fonds lediglich „aus menschlichen Gründen ohne Anerkennung einer Rechtspflicht“ eingerichtet. Sollte Diehl irgendwann einmal zur Zahlung von regelrechten Entschädigungen verpflichtet werden, wird die jetzt ausbezahlte „freiwillige Zuwendung“ auf solche Zahlungen angerechnet. Auch dazu müssen die betroffenen Frauen schon jetzt ihr Einverständnis geben.

„Wir haben damit die Geschichte zu einem positiven Ende gebracht“, ist Diehl-Sprecher Wust zufrieden. Auf die monatelange Auseinandersetzung um die Verwicklung des Konzerns in die NS-Zeit will er nicht näher eingehen. „Wir mußten die Vorwürfe auf uns wirken lassen“, begründet Wust das lange Schweigen der Konzernspitze auf die Aussagen ehemaliger Zwangsarbeiterinnen. Kurz nachdem Seniorchef Karl Diehl im Juli letzten Jahres zum Ehrenbürger der Stadt Nürnberg gekürt worden war, hatte zahlreiche heute in Deutschland und in Israel lebende Frauen öffentlich schwere Vorwürfe erhoben.

Die Frauen gaben an, unter den etwa 1.000 Häftlingen des KZ Groß-Rosen gewesen zu sein, die in den Diehl-Produktionsstätten unter entwürdigenden Bedingungen arbeiten mußten. Die Meister von Diehl hätten ständig geschlagen und sogar an Selektionen mitgewirkt. Die Frauen machten letztlich Karl Diehl, den damaligen Firmenchef, für die Zustände verantwortlich.

Der mittlerweile 91jährige Seniorchef des Unternehmens, das mit knapp 13.000 Beschäftigten derzeit 2,7 Milliarden Mark Umsatz erzielt, wies in einem offenen Brief alle Schuld von sich. Er bedauerte zwar die Mißhandlung der Häftlinge, betonte aber, er wäre zu deren Einsatz gezwungen worden.

Während Karl Diehl den Berliner Historiker Wolfgang Benz mit der Untersuchung der Firmenrolle in der NS-Zeit beauftragte, nahm sein ältester Sohn Werner den Kontakt mit den betroffenen Frauen auf. Der Zentralrat der Juden soll an den Gesprächen beteiligt gewesen sein. Etwa 150 Frauen dürften noch am Leben sein. Bernd Siegler

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