: „Harmonie der Töne und Geister“
Mit und ohne Bier: Die Hamburger Musikhalle wird stolze 90 ■ Von Eberhard Spohd
Ein Sinfonieorchester, daß um die Jahrhundertwende in Hamburg auftreten wollte, hatte es nicht einfach. Eine Konzerthalle, ausgerichtet auf den Bedarf eines großen Klangkörpers, gab es nicht. Schlimmer noch, die Musiker mußten in Ballhäusern auftreten, in denen um des schnöden Mammons Willen weitaus häufiger Tanzveranstaltungen denn philharmonische Abende stattfanden. Der Dirigent Karl Muck weigerte sich gar, im Conventgarten an der damaligen Kaiser-Wilhelm-Straße zu spielen: „Da stinkt es nach Bier!“
Zum Glück starb bald darauf Carl Heinrich Laeisz. Der Hamburger Reeder hatte in seinem Testament der Stadt 1,2 Millionen Mark vererbt unter der Maßgabe, damit eine Musikhalle zu bauen. Aber auch damals schon mahlten die Mühlen der Baubürokratie langsam. Und auch damals schon war das Stadtsäckel leer. So bedurfte es einer weiteren Stiftung von 2 Millionen Mark der Witwe Laeisz und weiterer sieben Jahre, bis am 4. Juni 1908 die Musikhalle am heutigen Johannes-Brahms-Platz eingeweiht werden konnte. Der Cäcilienverein und die Sing-Akademie gaben das Halleluja aus Händels Messias und Bürgermeister Burchard sprach salbungsvolle Worte: „Möge die Musikhalle stets sein ein Tempel wahrer Kunst, wo die Zwietracht schweigt und die Harmonie der Geister wie der Töne herrscht.“ Eben ohne geistige Getränke.
Die hielten aber spätestens wieder Einzug, als 1945 die britische Armee Hausherr wurde. Anstatt die Weihestätte klassischer Musik in Ehren zu halten, veranstalteten sie in der Konzerthalle Jazzkonzerte. Die Öffentlichkeit war aufgebracht. Durfte am Karl-Muck-Platz tatsächlich populäre Musik gespielt werden? Oder würde sich Laeisz, der sich selbst zu seinem „mussikalischen Unvermögen“ bekannte, im Grabe umdrehen? Den Engländern war das egal. Allerdings war die Musikhalle gar nicht für elektrisch verstärkte Musik, wie es fürderhin bei Beat und Rock üblich wurde, ausgerichtet und die Erschütterungen schädigten gar die bauliche Substanz.
Morgen feiert die Musikhalle mit einer gediegenen Feierstunde ihren 90. Geburtstag. Natürlich wird es Reden und Grußworte zuhauf geben. Im musikalischen Beiprogramm werden Jahrhundertwende-Werke gespielt wie die Schlußszene aus Richard Strauß' Oper Salomé oder Sergej Rachmaninovs Toteninsel. Wichtiger aber ist, daß die Geschäftsführung der seit zwei Jahren von der Stadt unabhängigen Konzertstätte verstärkt darangeht, ein klar strukturiertes Konzept für die Zukunft zu erarbeiten. „Wir müssen eine Identität für dieses Haus schaffen, in dem sich das gesamte Musikleben Hamburgs vom Polizeichor bis zum Startenor Placido Domingo kristallisiert“, erkannte Geschäftsführer Benedikt Stampa. Warum bei dieser Ausrichtung das Jubiläumsprogramm das gleiche Sammelsurium wie in den letzten Jahren bietet, bleibt ein Rätsel – ein strukturiertes Programm sähe anders aus.
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