: "Boykottiert Spargel aus Beelitz"
■ taz-Leser und Leserinnen schildern ihre Erlebnisse, ihre Angst und Wut bei der Fahrt ins Berliner Umland. Negative Erlebnisse sind kein Einzelfall. Beklagt wird aber auch Fremdenfeindlichkeit in Berlin
Seit einer Woche fragt die taz „Ins Umland reisen oder nicht?“ Zahlreiche Leser und Leserinnen haben inzwischen geantwortet. Weitere Leserbriefe zu diesem Thema werden wir in den nächsten Wochen veröffentlichen. Wer über seine Umlanderlebnisse oder die Diskussion darüber, ob Schulklassen das Umland meiden sollen oder nicht, schreiben will: taz-Lokalredaktion, Kochstraße 18, 10969 Berlin, per fax (251 86 74) oder per E-Mail (briefe@taz.de)
Bernd O: Liebe Tazler,
zum Gefühl bei Reisen ins Umland möchte ich Euch folgendes schreiben:
Vor etwa vier Jahren war ich als Dozent mit einer Gruppe von Studierenden in Strausberg. Dort wurde eine von uns auf der Straße von einem Skin beschimpft, weil sie zufällig eine schwarze Hautfarbe hat. Ich gab entsprechend scharfe Worte zurück, was mehr spontan geschah, ich aber aus Gründen der Selbstachtung nach wie vor für richtig halte. In der Folge tauchten dann plötzlich etwa zehn von ihrem Kumpan mobilisierte Skins mit ihren Hunden auf und bedrohten uns.
Nur die Flucht in ein Bäckereicafé rettete uns, weil die Nazis offenbar nicht so viel Geduld hatten, um auf uns zu warten. Folgen wollten sie uns auch nicht. Beim Eintritt in die Bäckerei hatte ich mich schon nach geeigneten Schlaginstrumenten umgesehen.
Da mir die dabei erlebten Gefühle, einschließlich meiner eigenen aus Angst und Wut entstandenen Gewaltbereitschaft nicht gefielen, wollte ich danach nicht so schnell wieder nach Brandenburg, obwohl ich zu denen gehörte, die nach der „Wende“, ziemlich neugierig, sehr oft dort waren.
Nun haben wir seit kürzerer Zeit ein Wochenendgrundstück in Brandenburg. Bei allen Zweifeln und Problemen hat das Bedürfnis nach Grün und Ruhe überwogen.
Als mein Sohn allerdings vor kurzem Freunde zu Gast hatte, deren „ausländische“ Herkunft deutlich erkennbar ist, habe ich mir bei gemeinsamen Aktivitäten vorsichtshalber ein Handy eingesteckt. Eine Anspannung bleibt also immer.
Thorsten Fischer: Ich hatte bisher selten das Vergnügen, mich in das Berliner Umland zu begeben, meine Fahrten gingen und gehen darüber hinaus. Meine Freundin aber erzählte einst eine kleine Anekdote von einem Zeitpunkt, zu dem sie mit ihrer Mutter irgendwo nach Brandenburg hineinfuhr und dort an einer Raststelle aus dem Auto stieg.
In diesem Moment kam eine Mutter mit zwei zirka 4jährigen Kindern vorbei, die des Berliner Nummernschildes am Wagen gewahr wurde. Sie wandte sich an ihre Kinder mit der Frage: „Was ist noch schlimmer als Türken?“ Die Antwort im Chor folgte prompt: „Berliner!“
Anonym: Hallo, liebe Tazler aus der Berlin-Redaktion, fast täglich liest man nun schon in der Zeitung von brutalen Überfällen auf Menschen, die nicht zur lokalen Bevölkerung des Umlandes gehören. Dies ist nicht nur in Brandenburg der Fall, sondern auch in Mecklenburg-Vorpommern und in Sachsen-Anhalt.
Meine Schlußfolgerung aus diesen, fast schon zum „Normalfall“ gewordenen Meldungen ist, sich nur noch in Gruppen und am besten bewaffnet in diese Regionen zu begeben.
Es darf einfach nicht sein, daß man diesen Schlägerbanden das Feld überläßt. Genausowenig wie den kahlgeschorenen Neonazis, die sonst ihre kulturelle Hegemonie, die sie bereits in weiten Teilen des Ostens – dort vor allem auf dem Lande – besitzen, noch weiter ausdehnen und ihre „national befreiten Zonen“ zum Alltag dieses Landes gehören, welche Menschen anderer Herkunft, anderen Aussehens und politischer Einstellung in Angst leben läßt.
Es heißt – im Gegenteil – endlich offensiv Präsenz von linker Seite zu zeigen und nicht vor den teils rassistischen und faschistischen Überfällen der gewalttätigen Jugendlichen zu kapitulieren. Dies wäre ein Erfolg ihrer Absichten und Aktionen.
Es geht vor allen Dingen auch um die noch unentschlossenen Jugendlichen, die sich von den rechten Sprüchen und Aktionen beeindrucken lassen könnten.
Es ist falsch zu sagen, der Osten ist braun und wir können nichts dagegen tun. Es muß offensiv dagegen vorgegangen werden, um entsprechend mit öffentlich-wirksamen Aktionen die Bevölkerung zu sensibilisieren, damit Druck auf die politische Ebene ausgeübt werden kann.
Flankierende Äußerungen von Politikerseite, die mit Hetztiraden gegen Ausländer und Flüchtlinge den Boden für diese Saat der Gewalt bereiten, müssen damit gezwungen werden, endlich Farbe zu bekennen, sich von der rassistisch motivierten Gewalt zu distanzieren und vor allen Dingen, ihre relativierenden Äußerungen in der Öffentlichkeit zu unterlassen. Nur so kann der Gefahr begegnet werden.
Nils H. Ede: Ich denke mir, daß Eure Aktion etwas damit zu tun hat, daß Ihr die Übergriffe genauso wenig versteht wie ich. Es existiert dahinter kein politisches Konzept oder irgendeine andere Form von Logik, wenn es sich nicht um Schutzgelderpressung handelt.
Es sind vielleicht nur Demonstrationen, deren untergründige Motivation und Rechtfertigung Wolfgang Thierse, am 13. 1. 92 in der Frankfurter Rundschau einmal treffend formuliert hat: „Darin ist, denke ich, auch eine Aussage über den Zustand unserer Demokratie enthalten. Diejenigen, die da so aggressiv agieren, teilen uns etwas mit über Handlungsblockaden, über Mitwirkungsdefizite, über ihre undeutliche Erfahrung, daß sie Objekte eines Prozesses sind, in den sie als Subjekte nicht eingreifen können.“
Und seitdem das zusammengestrichene Programm der AB-Maßnahmen im Osten, zwecks Verbesserung des „Images der CDU“ kurz vor der Bundestagswahl, mit hervorgezauberten sieben Milliarden Mark wieder eingeführt wurde, um nur eines dieser skandalösen Vorkommnisse zu nennen, hat sich der Nebel eher gelichtet und sind Hemmschwellen gesunken – auch ohne Alkohol.
Lieselotte Damke: Ja, am Anfang, kurz nach der Wende, haben wir uns schon gefreut, daß wir mal ins Umland fahren konnten. Das taten wir auch bis 1996. Danach nie wieder. Es ist uns nichts passiert bis auf weltfremde Anglotzerei (mein Sohn ist afrikanischer Abstammung).
In der jetzt sehr extrem gewordenen Situation würden wir uns das nicht mehr wagen. Uns reichen die verbalen Angriffe hier in „West“-Berlin schon. Und das passiert meinem Sohn fast täglich. Auch von älteren Personen. Mir ist klar, daß wir alle mit unserem Fernbleiben von ihrem „Territorium“ vor den Glatzen kapitulieren und so natürlich den Nazis ihren radikalen, verwerflichen Wünschen nachkommen.
Bleibt noch das „Wie bring' ich's?“ Wir zwei können das natürlich nicht „ausprobieren“, mal wieder ins Umland zu fahren. Da wir allein sind, würden wir uns fühlen wie Testpersonen, die man tags darauf im Krankenhaus besucht.
Nein, das Feld darf man den Rechten auf keinen Fall räumen, nur müßten es sehr große Gruppen sein, die sich zusammenschließen. Sehr große. Denn die Glatzen kommen ja nicht mehr einzeln oder in kleinen Grüppchen – nein, sie treten scharenweise auf. 30–40 „Mann“.
Auf jeden Fall müssen wir alle weiter darüber nachdenken, diskutieren etc. Und wir müssen uns im klaren sein, daß hier von Seiten der Politiker und Medien eine absichtliche Banalisierung betrieben wird. Wer terrorisiert denn Minderheiten, nur weil er keine Lehrstelle findet?
Mit dem Einzug der DVU in den Landtag hat sich Deutschland auf das Niveau von 1933 begeben.
Auch im „Westen“ herrscht eine stark latente Fremdenfeindlichkeit.
Heinz Eckel: Nach dem zu urteilen, was ich zuletzt so gehört habe, kann sich ein alternativ aussehender Mensch oder eine nicht arisch- reinrassige Schulklasse inzwischen kaum noch ins Berliner Umland trauen, es sei denn, er/sie wären hochgradig bewaffnet oder würden z.B. permanenten starken Polizeischutz „genießen“.
Vielleicht sollte mensch ja aber auch die Macht des Geldes nutzen und selbiges dort ausgeben, wo die Menschen freundlicher und toleranter sind. Gefährlich ist dies allerdings insoweit, als mensch dann vielleicht bald ganz auswandern kann.
Ich erinnere mich übrigens an das Interview eines entsetzten SFB-Journalisten mit dem brandenburgischen Innenminister Ziel (vor zirka eineinhalb Jahren auf SFB 3) anläßlich damaliger Übergriffe von Rechtsradikalen. Ziel bagatellisierte diese Übergriffe seinerzeit in erschreckender Weise.
Solange solche Versager die Politik bestimmen, ist wohl kaum eine Besserung der Lage zu erwarten.
Gabriele Manzke: Ich selbst fahre auf keinen Fall mehr ins Umland. Ich liebte es anfänglich, alleine auf Erkundungsfahrt (mit dem Fahrrad) zu gehen.
Ich habe mittlerweile schlicht und ergreifend Angst vor „diesen Leuten“. Ich stellte fest, daß einem die erworbene Menschenkenntnis dort nicht weiterhilft.
Ein scheinbar „ganz normaler“ Bürger schrie mich an, als ich mit dem Fahrrad durch Klein-Machnow fuhr: „West-V...“ (!), mach' daß de nach driiieben kommst, sonst fahr' ich dich platt!“
Hinter Oranienburg fuhr ich auf Waldwegen, da sehe ich – zum Glück entfernt – Jugendliche (?) in Kampfanzügen. Da ich von einer jungen (Ost-)Kollegin wußte, daß dort fast jeder in Besitz von Waffen aus NVA-Beständen ist, flüchtete ich blitzschnell auf die Straße. Ich hatte mich entschieden, dann doch lieber mit den wildgewordenen Autorambos die Straße zu teilen.
Überfälle sind nur noch Randnotiz.
Da von öffentlicher Seite so gut wie nichts unternommen wird, ja, Leute wie Frau Hildebrandt die Ostbürger in ihrem Denken, daß alle Welt ihnen nach 40 Jahren Sozialismus etwas schulde, unterstützen, entstehen auf diesem Nährboden (gewollt?) diese Verwerfungen.
Es wird nicht zur Kenntnis genommen, daß es hier bei uns immer schon arme Leute gegeben hat, die auch nie verreisen konnten und jetzt wieder zu den Verlierern gehören, darüber aber nicht lamentieren können, (da sie politisch nicht interessieren!!!)
So entstehen die Überfälle der Jugendlichen (im Namen ihrer Mitbürger). Erstaunt nehme ich immer wieder zur Kenntnis, daß der „real existierende“ Sozialismus die Menschen dort erheblich materialistischer geprägt hat, als ich es im Westen je kennengelernt habe.
So sind sie doch größtenteils selbst (lediglich Wirtschaftsflüchtlinge), wie es ihre Abneigung gegen die mutigeren Bürgerrechtler (als Spiegelung ihrer eigenen Feigheit) offenlegt. Und so scheint mir deshalb wirtschaftlicher Druck der einzige Hebel zu sein, mit dem von oben Druck auf diese Gewalttäter entstehen könnte.
Boykottiert – aber öffentlich: Solange diese Übergriffe auf andere Menschen, woher auch immer, nicht aufhören, sollen sie Spargel aus Beelitz, Äpfel aus Werder, Gurken aus dem Spreewald an ihre eigene Brut verfüttern.
Auch der Kampf der Berliner Zeitung eignet sich als Druckmittel. Da diese Zeitung mehr „Westleser“ ködern will – ihr neues Layout den alten Inhalt nicht kaschierte, kann auch hier der wirtschaftliche Hebel angesetzt werden.
Übrigens: als es um die Vereinigung des „Wirtschaftsraumes“ Berlin-Brandenburg ging, habe ich dafür gestimmt. Dies würde ich nicht wieder tun.
wird fortgesetzt
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