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Bakterienkiller ohne Wirkung

Die Wunderwaffe der Medizin wird stumpf. Bakterien zeigen sich zunehmend gegen Antibiotika resistent. Grund ist deren exorbitanter Einsatz in der Tierhaltung und der flinke Griff der Ärzte zum Rezeptblock  ■ Von Uta Andresen

Mitte Mai war es soweit. Zum ersten Mal konnte der Nachweis erbracht werden, daß in deutschen Krankenhäusern Patienten gestorben waren, weil die Keime, mit denen sie sich infiziert hatten, nicht auf die verabreichten Antibiotika ansprachen. Aber – sollte es wohl beruhigend heißen – betroffen waren vor allem ältere Menschen, die über lange Zeit mit Antibiotika behandelt worden waren.

Bei nahezu allen bakteriellen Krankheitserregern nehmen die Resistenzen gegen Antibiotika bedrohlich zu – weltweit. Nicht nur der Klassiker Penicillin versagt angesichts der mutierten Mikroorganismen. Auch hochwirksame Antibiotika der neuen Generation sind chancenlos. Manche Bakterien sind gleich gegen mehrere Antibiotika resistent und nur noch durch wenige Reservesubstanzen zu beeinflussen. Wenn überhaupt. In einer neuen Studie des amerikanischen „Medicine Forum on Emerging Infections“ heißt es: Die Ausbreitung von Resistenzen sei erschreckend, zumal weltweit die Instrumente zu ihrer Bekämpfung versagen würden.

Tatsächlich sind die Zahlen alarmierend: In den USA, Spanien und Ungarn sind bis zu fünfzig Prozent der Pneumokokkenstämme gegen Penicillin resistent. Erkrankt jemand an diesem Bakterium, läßt sich die Lungenentzündung nur schwer behandeln. Das Eiterbakterium Staphylococcus aureus etwa ist in den Krankenhäusern Spaniens, Frankreichs und Italiens zu dreissig Prozent, in denen Japans gar zu sechzig Prozent resistent gegen das Antibiotikum Methicillin. In US- amerikanischen Krankenhäusern sind bereits achtzig Prozent der Stämme von Staphylococcus epidermidis Methicillin-resistent. Jährlich infizieren sich Hunderttausende Patienten mit diesem Bakterienstamm, in vielen Fällen verlaufen die Infektionen tödlich. „Resistente Staphylokokken gehören zu den am schwierigsten zu behandelnden Erregern“, sagt Christof von Eiff vom Institut für Medizinische Mikrobiologie der Uniklinik Münster.

Die Zahl der Infektionen mit multiresistenten Keimen wird in Deutschland auf bis zu eine Million im Jahr geschätzt. Wie viele Patienten davon letztlich resistenten Keimen erliegen, ist nur schwer zu ermitteln: Todesursache kann – außer bei der Sepsis, der Blutvergiftung – fast immer auch das Grundleiden sein.

Resistenzen kann sich ein Bakterium auf zwei Wegen erwerben: entweder durch zufällige Mutationen, die, weil erfolgreich, an die nächste Bakteriengeneration weitergegeben werden. Oder das Bakterium borgt sich schlicht beim Nachbarn ein Resistenzgen. Dieser Gen-Transfer ist in der Bakterienwelt nichts Ungewöhnliches: Man könne sich die Bakterienfauna als einen einzigen großen Organismus vorstellen, sagt Stuart B. Levy, Professor für Mikrobiologie und Molekularbiologie an der Tufts-Universität in Medford, Massachusetts. Sogenannte Plasmiden oder Transposons, winzige Träger genetischer Einheiten, werden ungehindert von einem Bakterium zum anderen gereicht und in das jeweilige Genom eingebaut.

Die Hauptursache für die Entstehung von Resistenzen liegt nach Ansicht von Professor Bernd Wiedemann vom Institut für Pharmazeutische Mikrobiologie der Uni Bonn in den Krankenhäusern selbst. Hier herrscht eine bedenkliche Gemengelage aus hoher Bakterienansammlung, geschwächten Patienten (ein ideales Bakterienbiotop) sowie intensivem Gebrauch von Antibiotika. Der Mix sorgt für einen hohen Selektionsdruck auf die Bakterienfauna. Nur die Bakterien, die sich der Umgebung anpassen, überleben.

Wolfgang Witte von der Außenstelle des Robert-Koch-Instituts (RKI) in Wernigerode (Harz) fordert daher bei Ärzten und Pflegepersonal ein Umdenken: Zu oft würde bei jedem leichten Fieber zum Antibiotikum gegriffen, zu oft – in fünfzig Prozent der Fälle, wie eine Studie an 72 deutschen Kliniken belegt – bei Infektionen im Krankenhaus zum Breitbandpräparat. Im Extremfall erkrankt der geschwächte Patient sogar an seinen körpereigenen, normalerweise harmlosen Darmbakterien. Witte fordert eine gründliche Diagnose: „Angesichts der Resistenzgefahr muß der Einsatz eines Antibiotikums exakt auf den jeweiligen Erreger abgestimmt werden.“ Zudem müsse mehr Wert auf Hygiene gelegt werden, damit sich die Erreger nicht ausbreiten. Studien zeigen, daß jede dritte Infektion vermieden werden könnte, wenn hygienische Standards wie Händewaschen penibel eingehalten würden.

Ein weiterer Problemherd ist nach Ansicht von Mikrobiologen die Intensivtierhaltung. In den Massenställen werden Antibiotika tonnenweise ins Futter gemischt – als Arzneimittel zur Prophylaxe oder Behandlung von Krankheiten, aber auch als sogenannte Leistungsförderer. Tiere, die mit Antibiotika gefüttert werden, setzen schneller Fleisch an und bringen bis zu fünf Prozent mehr Gewicht auf die Waage. In Dänemark wurden vor vier Jahren 24 Kilogramm des Antibiotikums Vancomycin zur Therapie beim Menschen eingesetzt, im Tierfutter waren es 24.000 Kilo des ähnlichen Stoffes Avoparcin. Von 1992 bis 1996 importierte Australien im Durchschnitt 582 Kilo Vancomycin für medizinische Zwecke, für die Tierhaltung war es hundertmal soviel Avoparcin.

Was weder Pharmalobby noch Tierhalter störte: Beide Antibiotika haben den gleichen Wirkmechanismus. Werden Bakterien resistent gegen das Avoparcin beim Tier, versagt auch das Vancomycin – eine sogenannte Kreuzresistenz ist entstanden.

Bislang streitet die Pharmalobby die Existenz der Kreuzresistenz ab. Ein hinreichender wissenschaftlicher Beweis stünde noch aus, heißt es beim Bundesverband für Tiergesundheit in Bonn. Wie schnell Antbiotikaresistenzen entstehen können, belegt ein Beispiel aus der DDR: Dort wurde von 1983 bis 1990 das Antibiotikum Nourseothricin als Wachstumsförderer in der Mast eingesetzt. 1983 tauchten Resistenzen gegen den Bakterienkiller noch nicht auf. Zwei Jahre später jedoch wurden gegen das Nourseothricin resistente Enterobakterien im Darm von Schweinen und in Fleischprodukten gefunden. 1990 konnten die resistenten Keime bei den Tierhaltern und ihren Familien und sogar bei Patienten im nächsten städtischen Krankenhaus nachgewiesen werden.

Bislang gingen Forscher davon aus, je mehr Antibiotika in der Umwelt vorhanden seien, desto häufiger träten resistente Bakterien auf. Infektionsbiologen der Universität Würzburg wollen nun untersuchen, ob auch geringe Antibiotikaspuren im Abwasser Resistenzen verursachen können.

Die Erkenntnis, daß der exorbitante Gebrauch von Antibiotika diese unwirksam werden läßt, ist so neu nicht. Bereits 1969 hat eine britische Regierungskommission gefordert, auf Antibiotika, die möglicherweise Resistenzen verursachen, in der Tierhaltung zu verzichten – bislang erfolglos. Erst im letzten Jahr warnte die Weltgesundheitsorganisation (WHO) wieder vor den Folgen von Antibiotikaresistenzen. Diese würden die Medizin auf den Stand vor der Erfindung des Penicillins zurückwerfen. Das RKI fordert daher, den Einsatz von Resistenzerzeugern in der Tierhaltung zu verbieten.

Die Veterinärmedizinerin Anita Idel von der Arbeitsgemeinschaft kritische Tiermedizin geht in ihrer Kritik an der Intensivtierhaltung noch weiter: „Solange man an den Haltungsbedingungen nichts ändert, wird man um den Einsatz von Chemie nicht herumkommen. Es reicht nicht, antibiotische Leistungsförderer zu verbieten.“ Vielmehr müßten die Tierzahlen reduziert werden, damit man zu artgerechten Haltungsformen komme. Nur so könne auch auf Medikamente weitgehend verzichtet werden.

Bisher aber reagiert das Landwirtschaftsministerium, das für die Zulassung der Leistungssteigerer zuständig ist, nicht oder nur unwillig auf die Warnungen der Mediziner und Mikrobiologen: Vor zwei Jahren wurde das Antibiotikum Avoparcin als Futterzusatzstoff in der Tiermast verboten. Allerdings wandern sieben weitere Bakterienkiller Tag für Tag in die Tröge von Schweinen, Rindern und Geflügel. Darunter auch Antibiotika, die beim Menschen verwendet werden.

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