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Illusion von schönen Bildern

Computergestützte Küchenplanung erfüllt den Kunden alle Träume, versprechen Fachgeschäfte. In Wahrheit erleichtert sie vor allem den Verkauf  ■ Von Hans Wolfgang Hoffmann

Nehmen wir an, Sie wohnen nicht in einem Neubau mit durchgeplantem Speisezubereitungsraum, sondern im Altbau. Dort gibt es ein großes Zimmer, in dem nur Herd und Spüle oder eine kompakte Einbauzeile an der Wand stehen. Aus diesem Freiraum könnte eine veritable Küche werden, vielleicht mit einer freistehenden Kochinsel à la Biolek, einer großen Theke, offenem Vorratsspeicher und einer gemütlichen Familientafel. Selbst Großmutters Biedermeierbüffet könnte noch einen würdigen Platz finden.

Nichts leichter als das, suggerieren die Prospekte der Küchenindustrie. Computergestützte Planungsprogramme, mit denen heute die meisten Fachgeschäfte, und sogar Ikea arbeiten, versprechen: Wir können die Träume der Kunden den individuellen räumlichen und finanziellen Möglichkeiten anpassen. Was aber kann eine solche Planungshilfe wirklich?

Als erstes zerstört sie eine Illusion: Planen im Sinne von Ideen- Entwickeln kann der Computer selbst natürlich nicht. Doch auch seinem Benutzer erleichtert er das Kreativsein nur begrenzt. Statt auf Entwurf ist das Programm auf Anwendung ausgelegt. Es dient dem Verkauf von Kücheneinrichtungen und ist folglich wie ein Firmenprospekt aufgebaut. Am Anfang wählt man aus dem Angebot den Hersteller, Oberflächenmaterial und Kranzleistenprofil. Danach wird aus diesen Zutaten auf dem Grundriß der Kundenküche die Einrichtung zusammengebastelt. Das Ergebnis ist eine perspektivische Ansicht der neuen Küche. Parallel dazu erstellt der Rechner eine Teileliste und kalkuliert den Preis.

Mußte man sich früher auf einen Anbieter festlegen, können die neuesten Programme deren Produkte untereinander kombinieren. Solange man nicht auf wirklich Exotisches fixiert ist, seien es Edelstahloberflächen oder rollende Küchenmobile, muß man eher mit einem Zuviel an Auswahl zurechtkommen. Allerdings gilt die Kompatibilität nur für neue Elemente. Wer alte Möbel einbauen will, dem bietet das Programm kaum was: Omas reich verziertes Biedermeierbüffet, das der Blickpunkt hätte sein sollen, erscheint in der bunten Perspektive nur als farbloser, grauer Quader.

Zudem erschwert die Planungsrichtung das Entwerfen: Gegen den üblichen Strom bewegt man sich vom Detail zum Ganzen. Während der Computer bereits nach abschließbaren Putzmittelkammern fragt, vermag er den grundsätzlichen Aufbau der Küche nicht zu diskutieren. Denn bevor der Rechner ein Bild generieren kann, muß die Küche bis ins letzte Detail zusammengestückelt sein. Das dauert so lange, daß man erst beim zweiten Termin einen Blick auf die Küche werfen kann. Alternativen lassen sich schon aus Zeitgründen kaum testen.

Ob sich ein Raum besser durch eine hohe Schrankküche oder eine schräg ins Zimmer gestellte lange Tafel nutzen ließe: Dabei kann der Computer nicht helfen, obwohl auch abstraktere Darstellungen denkbar wären. An der guten alten Skizze führt kein Weg vorbei. Auch weist der Rechner nicht darauf hin, daß man zwischen Herd und Spüle besser noch eine Abstellfläche planen sollte. Hier kann nur der Küchenexperte helfen. Die Beratung wird durch die neue Planungshilfe nicht unwichtiger.

Entscheidend: Genau überlegen, was man will, bevor man das Gerät in Betrieb setzt. Nur wenn der Computer klare Vorgaben bekommt, ist er in seinem Element. Die Bilder, die er daraus errechnet, sind allerdings in der Tat betörend. Auf den nahezu fotorealistischen Ausdrucken läßt sich sogar Buchen- von Birkenholzdekor unterscheiden. Das erleichtert es erheblich, sich vorzustellen, wie die Küche in Wirklichkeit aussähe.

Weit weniger bestechend ist der Rechner beim wichtigsten Punkt: den Finanzen. Zwar verdeutlicht er viel schneller als ein Taschenrechner, was die Träume kosten. In der Windows-gestützten Carat- Software, die gerade auf den Markt gekommenen ist, erscheinen Küchen- und Kostenplanung gemeinsam auf dem Bildschirm. Da sieht man sofort, wie der Wunsch, echte Holzoberflächen statt einfachem Folienimitat zu verwenden, die Rechnung augenblicklich um mehrere tausend Mark nach oben treibt.

Daß der Kostenvoranschlag am Küchenentwurf gleich mit dranhängt, erhöht die Budgetsicherheit allerdings nur begrenzt: Große Etatposten, wie etwa ein durch die Planung nötiges Verziehen von Installationsleitungen, werden nicht erfaßt, da diese Leistungen von anderen Handwerkern abgerechnet werden. Die Kalkulation schließt nur ein, was vom Küchenstudio erbracht wird. Von einem Komplettangebot ist man noch weit entfernt. Die in der Computertechnik eigentlich liegende Chance zur Vernetzung aller, die sich mit der Küche aufhalten, wird von den meisten Händlern nicht genutzt. So ist computergestützte Küchenplanung vor allem eine Verkaufshilfe, die den Kunden mit schönen Bildern überzeugt.

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