: Die modernisierte Gelassenheit
Die laotische Tempel- und Königsstadt Luang Prabang gibt ein Bild der Verwobenheit von alt und neu. Fahrrad neben Honda, Gameboy neben Webstuhl. Auch die Mönche sind bereit: Sie beten und sie rauchen ■ Von Christa Wichterich
Vier Uhr und kein Schimmer vom Morgen. Sanfte Gongschläge beenden die Nacht der Mönche. Sie fegen den Tempel aus und versammeln sich zur ersten Andacht.
Sechs Uhr. Nebel nieselt auf die dämmrige Stadt. Die Silhouette des Wat May drückt sich gegen den Grauschleier des Tages. Soumonh Saignasith nimmt den Topf mit der eingekochten Paste aus Chili, Trockenfisch und Erdnüssen und kniet sich in den Staub des Bürgersteigs neben ihre Nachbarinnen. Fünfzehn Mönche treten barfüßig einer nach dem anderen aus dem Kloster. Die Frauen löffeln Klebereis, Gemüse und Pasten in die Bettelschalen, die die Safrangewandeten vor ihre Bäuche pressen. Dann schreiten sie in stummer Prozession das Alimentierungsrevier ihres Klosters ab, ohne den Mönchen des nächsten Wat ins Gehege zu kommen, bis die bauchige Schale gut gefüllt ist. Die wortlose Begegnung zwischen der Bevölkerung Luang Prabangs, vor allem den Frauen, und den kahlgeschorenen Verbindungsmännern zum Göttlichen wiederholt sich jeden Morgen zwischen sechs und sieben, Clockwork Klebereis.
Wenig später nimmt Soumonh Saignasith die tägliche Lieferung frischer Baguettes entgegen. Ihr Haus am Fuß des Phousi-Berges unweit des ehemaligen Königspalastes und vis-à-vis von Wat May, einem der Klöster mit den prachtvollsten Goldauflagen und Lackmalereien, ist ein tourismusstrategisches Juwel. Günstig gelegen für den Verkauf von Nudelsuppe und Paté, dem kulinarischen Nachlaß der französischen Kolonialzeit im laotischen Alltag.
Der Legende nach hat Buddha hier auf der schmalen Landzunge gerastet, wo sich der grünblaue Nam Khan in den brauntrüben Mekong windet. Bei der Gelegenheit habe er prophezeit, hier würde eine wohlhabende Stadt entstehen. Tatsächlich wurde die Stadt inmitten der sattgrün bewaldeten Berge reich, als religiös-kulturelle Hochburg, als Zentrum aristokratischer Macht und als Knotenpunkt des Handels mit Opium und Gold.
Madame Soumonh kehrte erst 1996 in das stattliche Holzhaus zurück, das ihre Mutter vor achtzig Jahren baute – auch damals schon in hervorragender Stadtlage. Ihr Blick verhärtet sich, während sie die vergangenen Jahrzehnte in lupenreinem Französisch rekapituliert. Der älteste Bruder war „Funktionär“, das heißt, er arbeitete für die Franzosen, und wurde von der revolutionären Volkspartei in ein „Seminar“, ein Umerziehungslager, entsorgt, drei andere Geschwister emigrierten nach Frankreich, sie selbst lebte jahrelang bei Verwandten in der Hauptstadt Vientiane und arbeitete in einer Waschmittelfabrik.
Madame ist stolz, daß ihr Haus wie die gesamte alte Stadtarchitektur von der Unesco zum Weltkulturerbe erklärt wurde. Günstige Darlehen und dreißig Prozent Zuschuß macht die Unesco für Renovierungen locker. Dafür gelten strikte Auflagen. An der Struktur des Hauses darf nichts verändert, nur morsches Holz erneuert werden. Die Zeit sei nicht stehengeblieben, aber „die Menschen in Luang Prabang halten an den Bräuchen fest“, sagt Madame Soumonh. Die Frauen zum Beispiel würden den phàa nung, den langen Wickelrock mit den breiten Webbordüren, nicht aufgeben. Das Parterre von Soumonhs Haus ist eine Schnittstelle von gestern und morgen: ein einziger großer Raum, gleichzeitig Wohn- und Schlafzimmer, Vorratslager für ihre Garküche, Garage für ein Fahrrad und ein Moped, in der einen Ecke ein Webstuhl, der ebenso in einen laotischen Haushalt gehört wie eine Frau, in der anderen Ecke das Symbol des neuen Zeitalters: der Fernseher, rundum Fotos der Vorfahren und Plakate für das Visit Laos Year 1998.
Tatsächlich sind seit der Liberalisierung des Landes in Luang Prabang zwei gegenläufige Prozesse in friedlichem Nebeneinander vereint: ein Wiederaufleben von Tradition und Religion, gleichzeitig der Einbruch der Moderne in Form von Parabolantennen, Hondas, einer Flut von Konsumgütern und Touristen. Die jüngsten Insignien des Fortschritts sind niegelnagelneue Kartentelefone in Glashäuschen mit der Aufschrift „international“. Der Anschluß an die Globalisierung scheint vollbracht. Doch sie hat die Stadt nicht ruiniert. Noch nicht.
Fahrräder beherrschen das Straßenbild. Nach Schulschluß verursachen die blauweiß uniformierten Mädchen und Jungs mit ihren Rädern die heftigste Rush- hour. Die Stadt kommt mit einer einzigen Ampel an der einspurigen Brücke über den Nam Khan aus. Aber die Zahl der Laster und Tuktuks, der knattrigen Dreiradtaxen, nimmt zu, und die Hondaisierung schreitet voran.
Die bevorzugte Fortbewegungsform per Fahrrad oder Moped ist paarweise. Beim synchronen langsamen Tritt in die Pedale läßt sich gut plaudern, ebenso von Honda zu Honda. Die Gemächlichkeit bleibt erhalten. Sie ist nur modernisiert.
Auch die Geschäftigkeit der Märkte ist gelassen. Auf dem Frischmarkt rasiert eine Fleischhändlerin liebevoll die Borsten von einer Schweineschwarte. Männer entladen Frachtboote und schleppen im Schweiße ihrer Körper Sack für Sack den Hang vom Fluß zur Marktstraße hoch. Vor dem monumentalen handgemalten Plakat der pharmazeutischen Fabrik Nr. 2 sticken Hmong-Frauen aus dem bergigen Hinterland allerlei Schnickschnack für die Touristen. Neben Bergen von Seide und Hanf aus der Umgebung treffen hier Warenströme aus China, Vietnam und Thailand zusammen. Vom Waschpulver bis zur Stereoanlage, von der Nivea-Creme bis zum Benetton-T-Shirt wird das meiste aus Thailand importiert. Staunend drehen ein paar Hmong, von Kopf bis Fuß in grober schwarzer Hanfkleidung, die neuesten Nike-Modelle in ihren Händen. In einem Stand mit wunderbaren Webstoffen sitzt die Händlerin im „Meerjungfrauensitz“ vorm Fernseher, wie vor einer Buddhastatue im Tempel, die Beine zur Seite, fasziniert zu einer Kung-Fu-Serie aus Thailand hochblickend. Das Kind auf ihrem Schoß spielt mit einem Gameboy.
Von den guten Geschäften profitieren auch die Klöster. Die neuen Reichen spendieren Gold und Geld zur Renovierung. Über dreißig der vor sich hinrottenden Sakralbauten der Stadt sind wieder in Betrieb und von durchschnittlich einem Dutzend Mönchen bewohnt. Zustrom von Novizen haben die meditativen Idyllen reichlich aus Dörfern im Landesinnern, denn sie bieten Bildung und Versorgung. Lebenslänglich plant jedoch kaum jemand von den jungen Mönchen: Nach Schulabschluß wollen sie das Kloster verlassen, viele mit dem Traum eines Jobs als Touristenführer.
„Bis vor kurzem“, meint ein Novize, „brauchten Mönche nur vier Dinge im Leben: Essen, Kleidung, ein Dach über dem Kopf und Medizin. Jetzt brauchen wir auch Geld.“ Wen wundert's: Auch die Mönche sind nicht mehr, was sie mal waren. Man sieht sie dem Tabakgenuß frönen, im Videoshop, im Tuktuk, und selbst Touristinnen sprechen sie ungeniert an – angeblich um ihr Englisch zu erproben.
Der ursprüngliche Tourismus- Entwicklungsplan der laotischen Regierung wollte die exterritoriale Invasion in das zwei Jahrzehnte völlig abgeschottete Land in Form teurer „Package Tours“ portionieren und Individualreisende mit großen Rucksäcken, aber kleinem Budget fernhalten. Die wirtschaftliche Bredouille und die simple Erkenntnis, daß Kleinvieh auch Mist macht, bewog den Staat dazu, seine dirigistische Kontrolle nach und nach aufzuweichen. Nun kommen sie in Scharen, per klapprigem Flieger aus Vientiane, per Bus durch das überfallgefährdete Gebiet der Kasi oder nach einer zweitägigen Bootsfahrt über den Mekong von der thailändischen Grenze. Neben den staatlichen Hotels und ein paar exklusiven Privatlogis schießen Guesthouses aus dem Boden.
Konkurrenz läßt der übermächtige Nachbar Thailand hier jedoch nicht wachsen. Thailändische Unternehmer tätigen vierzig Prozent der Investitionen in der laotischen Tourismusbranche und entwickeln Laos zu einer Art touristischem Hinterland des überlaufenen Thailand. Die Regierung in Bangkok finanzierte den zwei Millionen teuren Flughafen Luang Prabangs mit der Abfertigungshalle im Stil eines Tempels und restauriert die verblichenen Fresken im Wat Pahawk. Thailändische Schnellboote überholen die langsam tuckernden einheimischen Langboote auf dem Mekong und durchschneiden die Ruhe wie Motorsägen.
Unberührt von diesem Höllenlärm, wässern Frauen nach der nachmittäglichen Hitze ihre Gemüsegärten am Ufer des Mekong. „Mutter allen Wassers“ nennen ihn die Laoten. Ein Schwein quiekt am Fluß – ein letztes Mal. Die Touristen sammeln sich in den auf Pfählen am Flußhang gebauten Kneipen und warten bei Lao-Bier auf die Rhapsodie in Orange, die die Sonne über dem breiten Spiegel des Flusses und den sanften Bergen inszeniert. Jeden Abend zwischen fünf und halb sechs. Ganz gemächlich.
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