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Schweizer Mehrheit für den Schnüffelstaat erwartet

■ Das morgige Referendum zur Abschaffung des Staatsschutzes dürfte kaum Chancen haben

Zürich (taz) – Morgen haben die Schweizer die Möglichkeit, ihr Gemeinwesen von einem Makel des Kalten Krieges zu säubern: Sollte eine Mehrheit für das Volksbegehren „S.o.S. – Schluß mit dem Schnüffelstaat“ stimmen, würde die „politische Polizei“, der Staatsschutz, abgeschafft, die Verfassung geändert – und die Schweizer hätten einen Schlußstrich unter die „Fichen-Affäre“ gezogen, die schwerste Staatskrise der Nachkriegszeit.

Doch gemach. Ein „Ja“ des Volkes scheint unwahrscheinlich. Gewiß, die Journalisten haben sich brav am Thema abgearbeitet. Die Redaktion der größten seriösen Zeitung, des Tages-Anzeigers, hat sogar eindeutig für die Initiative Partei ergriffen. Doch die Bürger kümmert's wenig: In Bern kamen jüngst gerade 40 Zuhörer zu einem Podiumsgespräch mit dem Chef der Bundespolizei.

Vor acht Jahren war die S.o.S.- Initiative geboren worden. 1989 hatte eine parlamentarische Untersuchungskommission offengelegt, daß die Staatsschützer 900.000 Bürger und Organisationen, darunter 350.000 Schweizer, bespitzelt und ihre Beobachtungen auf Karteikarten, schweizerisch „Fichen“, dokumentiert hatten. Sie observierten jeden, den sie für links oder sonstwie verdächtig hielten: Charlie Chaplin genauso wie sozialdemokratische Parlamentarier, Schwule wie Bewerber für den Staatsdienst. 1,2 Kilometer zugehörige Akten hatten die Bundespolizisten bis 1989 angehäuft: Daten auf Vorrat, ohne konkreten Straftatverdacht. Ein wütender Max Frisch schrieb: „Die gefährlichsten Verstöße gegen unsere Demokratie finden Sie im Bundeshaus, sie sind chronisch.“ 35.000 Menschen demonstrierten in Bern gegen „den Schnüffelstaat“. Die Regierung gestand den Betroffenen daraufhin das Recht zu, ihre Fichen anzuschauen. 350.000 beantragten die Einsicht. Hätte damals eine Abstimmung stattgefunden, das Volk hätte die Staatsschützer aus ihren Büros gejagt.

Wenn es nach Justizminister Arnold Koller ginge, würde auch jetzt nicht abgestimmt. Er hält die Initiative für „überholt“ und spricht von einem Lernprozeß beim Staatsschutz. 1997 wurde zudem ein neues Staatsschutzgesetz verabschiedet, welches in Kraft tritt, wenn die Initiative abgelehnt wird: Die Fahnder agieren nun erstmals auf einer gesetzlichen Grundlage. Wie gehabt dürfen sie ohne Straftatverdacht ermitteln. Koller hat sie nur gegen neue Feinde in Stellung gebracht: Terroristen, die Mafia und gewaltbereite Extremisten. Eric Breitinger

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