: Entnervtes Verständnis fürs Chaos
■ Zahlreiche verspätete Züge, aber kein Zusammenbruch beim Fernverkehr. 60 ICE, die überprüft wurden, sollen heute wieder fahren
Berlin (taz) – „Mit dem ICE 530 wollen Sie fahren? Oha! Na, der is Ausfall“, stöhnt am Berliner Bahnhof Zoologischer Garten eine Service-Mitarbeiterin der Bahn AG, die gestern morgen „am liebsten einfach zu Hause geblieben“ wäre. Denn nach dem Unglücksfall in Eschede hatte die Bahn AG alle 60 ICE-Züge der ersten Generation vorsorglich aus dem Verkehr gezogen und damit den gesamten Fahrplan der Fernzüge durcheinandergebracht. Doch das ganz große Chaos blieb gestern aus.
Bis auf zum Teil stundenlange Verspätungen und volle Ersatzzüge herrschte in den betroffenen ICE-Städten Berlin, Frankfurt, München und Hamburg lediglich etwas mehr hektische Betriebsamkeit als normal. Schon am Vormittag schickte die Bahn AG zehn der überprüften ICE wieder auf die Gleise. Ab heute morgen könnten alle Züge wieder normal im Einsatz sein, kündigte ein Bahnsprecher an.
Aus „rein prophylaktischen Gründen“ hatte die Bahn AG die 60 ICE „nochmals zur Überprüfung“ ins Werk geschickt, so Dieter Thoma, Bahnsprecher aus München – und danach in der obersten Frankfurter Schaltzentrale ein komplett neues Betriebsprogramm für die computergesteuerte gesamtdeutsche Bahnnetzanlage erarbeitet.
Weil die 60 Züge auf drei Linien verkehren, mußten die Bahnplaner für die Verbindungsstrecken zwischen Hamburg–München, Berlin–Frankfurt–München sowie Hamburg–Frankfurt–Basel– Stuttgart Ersatzzüge in das Netz einspeisen. Die neu errechneten Fahrzeiten und Anschlußverbindungen reichten sie dann an die regionalen Schaltzentren der Bahn weiter. Die konnten dann am Morgen vor Ort an den Bahnhöfen durch das Servicepersonal Handzettel an die Reisenden verteilen. „Weil die Information so gut klappte, lief das so entspannt“, lobte ein Sprecher der Bahn AG aus Hamburg den eigenen Einsatz der Bahn – und den eines Bahn- Ruheständlers, der ganz spontan am Hamburger Hauptbahnhof mitanpackte.
Aber auch die Fahrgäste hätten „gut mitgespielt. Sie haben die Sicherheitsmaßnahme verstanden“, meint der Bahn-Mann aus Hamburg. Schließlich stand gestern auf allen sonst als Fernsehwand genutzten Bahntafeln zu lesen: „Wir trauern um die Toten von Eschede und sprechen den Verletzten und Angehörigen der Opfer unser tiefstes Mitgefühl aus.“ Katja Ubben
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen