: Nato erwägt Einsatz im Kosovo
■ Mehrere westliche Staaten prüfen angesichts der andauernden Vertreibungen von Albanern die Entsendung von Soldaten und neue Wirtschaftssanktionen gegen die jugoslawische Regierung
New York/Bonn/Priština (AFP/dpa) – Wegen der gewaltsamen Vertreibung der albanischstämmigen Bevölkerung in der serbischen Provinz Kosovo erwägen mehrere westliche Staaten offenbar den Einsatz von Nato-Truppen. Die USA und Großbritannien prüften derzeit die Möglichkeit einer Entsendung von Nato-Soldaten, sagten Diplomaten am Samstag in New York. Eine UN-Resolution, die Nato-Truppen den Gebrauch „aller notwendigen Maßnahmen“ erlaube, sei eine mögliche Reaktion.
Zu den gegenwärtig von der Nato diskutierten Optionen gehören nach einem Bericht der britischen Sonntagszeitung Observer die Verhängung eines Überflugverbots für serbische Flugzeuge sowie die Schließung der Grenzen, um die Vertreibung von Kosovo- Albanern nach Albanien und Makedonien zu stoppen. Gespräche über einen möglichen Nato-Einsatz könnten in den kommenden Tagen am UNO-Sitz in New York stattfinden, hieß es aus Diplomatenkreisen. UN-Generalsekretär Kofi Annan verurteilte das Vorgehen der serbischen Sicherheitskräfte als „Greueltaten“, denen man „sofort und mit Entschlossenheit“ begegnen müsse.
Spitzenbeamte der US-Regierung wollen nach einem Bericht der New York Times vom Samstag wegen der Vertreibungen ab heute auch über eine Verschärfung der US-Sanktionen gegen Belgrad beraten. Der jugoslawische Präsident Slobodan Milošević nutze die Gespräche mit der Führung der Kosovo-Albaner nicht, um eine friedliche Lösung des Konfliktes herbeizuführen, wurde ein ranghoher US-Vertreter zitiert. Auch die EU- Außenminister wollen heute in Luxemburg über eine Verschärfung der Sanktionen beraten. Als mögliche Maßnahmen gelten das Einfrieren von Regierungskonten und ein Investitionsstopp.
Bundesaußenminister Klaus Kinkel forderte eine „klare Antwort“ der internationalen Gemeinschaft auf das „brutale Eingreifen der serbischen Sicherheitskräfte“. Er kündigte eine Soforthilfe für Flüchtlinge aus dem Kosovo in Höhe von einer halben Million Mark an. Kinkel befürchtet, daß Deutschland ein Zielland für Kosovo-Flüchtlinge werden könnte. Nach Presseberichten aus Tirana brachte die albanische und italienische Polizei fünf Schnellboote mit Kosovo-Albanern auf, die zu Verwandten nach Deutschland wollten.
Der Politische Direktor im Auswärtigen Amt, Wolfgang Ischinger, sagte nach einer mehrtägigen Reise durch die Region in Priština, die Lage im Kosovo weise alle Anzeichen einer Politik der „ethnischen Säuberungen“ auf. Deutschland prüfe derzeit gemeinsam mit den Nato-Partnern sowie der Balkan-Kontaktgruppe „alle Optionen“, um den Vertreibungen ein Ende zu setzen.
Die serbische Polizei ging auch am Wochenende wieder gegen albanische Dörfer vor. Nach Angaben von Flüchtlingen, die am Samstag in Albanien eintrafen, wurde die Ortschaft Junik bei Decani bombardiert und aus der Luft mit Maschinengewehren beschossen. Mehrere Dörfer sollen mit Artillerie beschossen worden sein. Die Befreiungsarmee des Kosovo rief gestern alle Albaner zwischen 18 und 55 Jahren zu einer Generalmobilmachung auf, um die Unabhängigkeit der Provinz von Serbien zu erkämpfen.
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