: Der Mann mit dem goldenen Schuh
In diesen Tagen startet weltweit die neueste Kollektion von Nike-Fernsehwerbespots. Leichtfüßige Sambaklänge, zu denen sich Brasiliens Profis durch einen Flughafen dribbeln, stimmen auf die Schlacht von Frankreich ein. Der Hauptdarsteller heißt Ronaldo, der Gegner adidas. Um Fußball geht es am Rande ■ Von Thomas Winkler
Verteilt wird in Frankreich nicht nur ein Goldpokal, sondern vor allem Marktanteile unter den großen Sportartiklern. Früher einmal war die WM auch eine Spielerbörse, aber das Geschäft hat sich auf die Turniere der Nachwuchsteams verlagert. Heute ist die WM eine Leistungsschau der Sportartikelindustrie und ihrer High-Tech-Produkte: Schuhe, die wie Raumschiffe aussehen, wasserabweisende und zugleich transpirationsaktive Kunststoffasern, ein Ball, der sich beim Schuß kaum noch verformt und so seine Flugeigenschaften behält. Die Mannschaften führen nicht mehr nur nationale Stellvertreterkriege, sondern kämpfen auch im Namen ihrer Ausrüster, allen voran die beiden größten: Nike und adidas.
Die Absicht des Flughafen- Spots von Nike ist vor allem, den Fußballprofi Ronaldo in das von der restlichen Welt so liebevoll gepflegte Klischee von den brasilianischen Schönspielern einzuordnen. Nach tausenderlei Kunststücken und Dribbeleien schießt er in der letzten Einstellung gegen den Pfosten. So was würde auf dem Spielfeld natürlich nicht passieren, denn Ronaldo (21) ist deshalb schon zweimal Weltfußballer des Jahres geworden, weil er eben nicht „brasilianisch“, sondern effektiv spielt.
Seine Physis wird gern als „deutsch“ beschrieben, in Interviews glänzt er mit Belanglosigkeiten, und in der Sambaschule, so erzählen die alten Freunde in der Favela Bento Ribeiro, jenem armen Vorort von Rio de Janeiro, aus dem Ronaldo stammt, hat er früher keine allzu glückliche Figur gemacht. Nur: Das Klischee ist leichter vermarktbar. Aber: Das Klischee bringt nicht Leistungen auf allerhöchstem Niveau, jedenfalls nicht kontinuierlich. Romario war der Star der WM 1994. Danach trieb er sich noch ausführlicher in den Diskotheken rum. Von Ronaldo ist das nicht zu erwarten. Der ging, anstatt zu feiern, schon als Jugendlicher lieber früh ins Bett, erzählt sein Bruder heute noch leicht verwundert. So ist Ronaldo der perfekte Nike-Sportler: erfolgreich und effektiv, verläßlich, aber trotzdem per Geburt mit brasilianischem Glamour ausgestattet. Nike will Ronaldo zum Michael Jordan des Fußballs formen. Man ist auf dem besten Wege.
In einen wie Ronaldo 30 Millionen über zehn Jahre zu investieren und ihm eine Beteiligung am Merchandising zuzusichern, ist für Nike ein kalkulierbares Risiko im „Krieg ohne Kugeln“, wie ihn Nike-Chef Phil Knight nennt. Das Geld gehört dabei zur Strategie: Würde man den Spieler zu billig einkaufen, wäre er als Werbeträger beschädigt. Ist Ronaldo die 60 Millionen Mark wert, für die er zu Inter Mailand wechselte? Zahlen sind wichtig, wenn man in guter alter Nike-Werbestrategie einen Einzelkönner aus dem Mannschaftszusammenhang herausheben will. In Amerika lieben sie ihre Statistiken, die jeden noch so kleinen Aspekt von Basketball, Baseball oder Football in Zahlen fassen. Im Rest der Welt und ihrem Fußball sind nur die Tore und die Nullen der Ablösesummen verläßlich zu addieren.
Ronaldo mag der beste Fußballer der Welt sein, er ist vor allem der teuerste. Das erste hängt von der Tagesform ab und ob der Ball vom Pfosten ins Tor oder zurück ins Feld springt. Das zweite aber ist halbwegs kalkulierbar, mithin marktwirtschaftlich sinnvoller.
Knights Doktorarbeit in Stanford beschäftigte sich bereits mit dem Thema, wie die Vorherrschaft von adidas und Puma auf dem internationalen Sportartikelmarkt zu brechen sei. Anschließend goß er Gummi in Waffeleisen, um so die ersten Sohlen für Nike-Schuhe herzustellen, und überholte die Theorie in der Praxis. Seit einigen Jahren hat Nike allerdings Probleme mit dem Wachstum, denn auf dem US-Markt wird zwar die Hälfte aller weltweit umgesetzten Sportartikel verkauft, aber er ist ausgereizt. 350 Millionen Paar Turnschuhe sind schwer zu steigern. Im ersten Quartal 1998 gingen die Umsätze um acht Prozent zurück, im März kündigte Nike die Streichung von 1.600 Stellen an, die Aktie fiel zeitweise bedrohlich.
Als bisher noch relativ brachliegendes Segment bietet sich für Nike zwangsläufig der Fußball an, wo adidas immer noch 60 Prozent der weltweiten Marktanteile hält. Als Spiegelbild der westdeutschen Wirtschaft waren die Herzogenauracher in den 70ern so satt und fett geworden, daß sie die 80er im seligen Verdauungsschlaf verbrachten. Dann versuchte man mit der Streetball-Kampagne, ausgerechnet im Basketball zu reüssieren, der Sportart, mit der und die durch Nike groß geworden war. Ganz nach dem Sandkastenmotto: Wenn du mir meine Förmchen klaust, klau' ich dir deine. Während sich Nike als Ausrüster von Borussia Dortmund auf dem Terrain von adidas vergriff, konterten die Herzogenauracher, indem sie letztes Jahr mit den Baseballern der New York Yankees das mythenträchtigste Sportteam der USA unter Vertrag nahmen. Im vergangenen Dezember reihte man sich außerdem in die illustre Ausstatterliste der National Football League (NFL) ein, im Basketball verpflichtet man schon lange früh potentielle Jungstars und scheint zumindest mit dem Jungstar Kobe Bryant richtig gelegen zu haben. Im Januar wurde der Ausstattervertrag mit dem Europäischen Fußball-Verband Uefa verlängert.
Das von Nike kopierte aggressive Marketing trägt Früchte: 1997 war das umsatzstärkste Jahr in der Geschichte der fränkischen Firma, die Profitsteigerungen betrugen teilweise 40 Prozent, der Marktanteil in den USA wuchs auf sechs Prozent, und adidas-Chef Louis- Dreyfus wurde zum Manager des Jahres gewählt. Mit der Übernahme von Salomon überholte adidas den zuletzt kränkelnden Konkurrenten Reebok und wurde zum zweitgrößten Sportartikler.
Die Nr. 1, Nike, landete ihren großen Coup mit der Verpflichtung der brasilianischen Nationalmannschaft. 620 Millionen Mark über zehn Jahre kostet die Turnschuhkleber aus Beaverton, Oregon, der Spaß. Aber es wird sich lohnen. Marktforscher haben festgestellt, daß die brasilianische Nationalmannschaft weltweit das zweitliebste Team hinter der jeweils eigenen Landesauswahl ist. Außerdem rüstet Nike die neuen Schützlinge nicht nur aus, sondern vermarktet sie auch gleich über die Agentur Nike Sports Entertainment (NSE). So wird Nike zum Veranstalter, denn der Vertrag mit dem brasilianischen Fußball-Verband CBF garantiert der NSE die Rechte an 50 Auswärtsspielen des Nationalteams. Daß CBF da etwas verkauft hat, was ihnen eigentlich nicht gehört, weil bislang der gastgebende Verband die Freundschaftsspiele vermarktete, stört Nike kaum: Wer nicht will, der hat halt schon. Der DFB etwa überließ vor dem 1:2 im März in Stuttgart zähneknirschend Nike die internationalen Fernsehrechte.
Demnächst steht wohl die Übernahme des englischen Verbandes an. Knight hätte „liebend gern“ natürlich auch die deutschen Nationalkicker unter Vertrag, aber noch steht da adidas vor, das seinen Heimatmarkt wohl „kaum freiwillig hergeben“ wird. Allerdings hat Nike angeblich dem DFB bereits vor einiger Zeit ein stattliches Angebot unterbreitet, doch DFB-Chef Egidius Braun hält zum heimischen Konzern, auch wenn der weniger zahlt. Gleiches gilt für Bayern München, das wohl nur aufgrund der freundschaftlichen Kontakte von adidas-Chef Louis- Dreyfus und adidas-Repräsentant und Bayern-Präsident Franz Beckenbauer nicht wechselte.
Bei der WM hat Nike mit Brasilien, Italien, Nigeria, USA, Süd- Korea und den Niederlanden zwar erst sechs der 32 Teams unter Vertrag, aber das sind sechs mehr als vor vier Jahren – und genauso viele wie adidas. Beide Konzerne werden die TV-Zuschauer mit Werbespots bombardieren. Auch wenn keine offiziellen Zahlen herausgegeben werden, darf angenommen werden, daß ein guter Teil des Werbeetats, der sich jeweils um eine Milliarde Mark bewegt, für das bisher größte Medienereignis aller Zeiten draufgehen dürfte.
Egal, wie die WM läuft, gewinnen werden wohl beide Konzerne. Auf Dauer allerdings kann es nur einen geben, verkündet Knight, denn der Sportmarkt werde zwar noch 20 Jahre weiterwachsen, aber spätestens dann sind Zugewinne nur mehr auf Kosten der anderen möglich. Für den Rest bleibt jetzt schon bloß Verzweiflung. Puma hat immerhin noch Lothar Matthäus nach Frankreich gebracht. Der aber ist, 16 Jahre älter als Ronaldo, ein Mann von gestern.
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