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Dramen unterm Gummibaum

Das Deutschlandradio hat östliche und westliche Familienserien aus den 60er und 70er Jahren ausgegraben und sendet sie ab heute abend in drei gestrafften Episoden  ■ Von Katharina Maas

Als Tochter Bigi mit einem neuen Freund ankam, der bereits verheiratet war, brachte das in den siebziger Jahren nicht nur die Radiofamilie Neumann in Rage, sondern wühlte auch die Gemüter ihrer Fans vor den Empfängern auf. Was heute banal klingt, war damals ein echter Skandal. „Wir bekamen bergeweise Briefe, entrüstete, aber auch solidarische“, erzählt Helga Piur, die die Bigi in der Familienserie „Neumann zweimal Klingeln“ sprach. Vergessen war die Sache erst, als Bigi dann selbst heiratete: „Da haben wir dann Hochzeitsgeschenke geschickt bekommen, so als hätten wir wirklich geheiratet.“

Auch wenn die Themen der heutigen Soaps im Fernsehen härter geworden sind (da müssen sich schon mindestens Geschwister lieben), bleibt das Erfolgsprinzip einer Serie das gleiche. Es gibt viele dramatische Wendungen, doch die Figuren bleiben immer nah an ihren Fans und deren Leben und sind so Ausdruck ihrer Zeit.

Weil die Sixties gerade wieder modern sind, hat das Deutschlandradio zwei alte Familienserien wiederaufbereitet: die DDR-Produktion „Neumann zweimal klingeln“, die von 1969–1981 ausgestrahlt wurde, und das Westpendant „Pension Spreewitz“, das von 1957 an für fünf Jahre im Rias lief. In drei Teilen bringt Deutschlandradio ausgewählte und gestraffte Episoden und bietet damit einen überraschend lebendigen Einblick in das Lebensgefühl der beiden deutschen Staaten.

Bei den Neumanns auf Radio DDR 1 kam alles vor, was auch im realsozialitischen Alltag von Bedeutung war, sei es die FdJ- Mitgliedschaft, Ärger in der Brigade oder einfach Eheprobleme. Ein wenig subversive Kritik war dabei, nicht zu offen, denn sonst wurde zensiert. So wie beim gedachten Besuch aus dem Westen, der Gästen aus Ungarn weichen mußte. „Man hatte natürlich eine Schere im Kopf, da hat man bestimmte Dinge schon automatisch nicht reingebracht“. sagt Piur und fügt hinzu: „Wir haben das nicht als so schlimm empfunden.“

Während die Neumanns (Vater, Mutter und zwei Kinder – die sozialistische Modellfamilie) sich auch für die Welt vor ihrer Haustür interessierten, bewegte sich Familie Spreewitz aus dem Westen im bürgerlichen Rahmen ihrer Pension. Mutter Spreewitz, Sohn Peter, Tochter Gisela und der Opa blieben zurückgezogen im Privaten. Die „kleinen Geschichten aus dem großen Berlin“, so der Untertitel, beschränkten sich oftmals auf die kleinen Dinge im Leben: heimliche Schwärmereien, Gummibäume, die von den Pensionsgästen mit Bier gegossen werden, und fehlende Aufschnittplatten.

Schauerlich spießige Familiendiskussionen

Langweilig ist das nur deshalb nicht, weil es unglaublich anachronistisch ist. Beide Serien – egal ob Ost oder West – sind so spießig, daß einem viele kleine Schauer der Erleichterung über den Rücken laufen, diese Zeit verpaßt zu haben. Beispielsweise dann, wenn die Tochter laut von Hosen träumt. Das sorgte für mehr Aufregung als heute ein Bauchnabelpiercing. Ebenso das prüde-lüsterne „aber Erwin“ von Mutti Spreewitz, wenn der angebetete Nachbar versucht, sich ihr zu nähern.

Lange waren diese Highlights deutscher Befindlichkeit in den Archiven begraben. Erst als das Deutschlandradio auf der Suche nach mehr Hörern die Idee hatte, es mal mit Unterhaltung zu versuchen, erinnerte man sich an die Schätze im Archiv. Die Autorin Clarisse Cossais nahm sich die 600 Folgen der „Familie Neumann“ und die 150 der „Pension Spreewitz“ vor und stellte eine Sendung zusammen.

Um die Masse der Tonbänder etwas einzuschränken, hat sie sich bei den „Neumanns“ allerdings auf die ersten Jahre beschränkt. „Mit dem Blick einer Außenstehenden“ sei sie an die Arbeit gegangen, erzählt die gebürtige Französin und Wahlberlinerin. Dabei habe sie „köstliche kitschige Raritäten gefunden.“ Da sie 1968 geboren wurde, fand sie es besonders spannend, kaum Berührungspunkte zu haben – weder zu der Zeit noch zum Land. Wenn man die Serien von den Neunzigern aus betrachtet, bekämen sie eine ganz neue Qualität, sagt sie. Dabei war Cossais wichtig, keine soziologische Sendung zu machen: „Ich wollte nicht untersuchen, wie hoch der Ironieanteil ist, oder den Sinn der Serie an sich diskutieren.“ Deshalb hat sie sich darauf beschränkt, die Folgen herauszugreifen, die ihr am besten gefallen, sie vorsichtig zu kürzen und sie mit Musik der jeweiligen Zeit zu umrahmen.

Den Spaß, den sie beim Entdecken der alten Bänder hatte, will sie an die Hörer weitergeben. „Ich habe oft lachen müssen, mich aber auch manchmal gelangweilt, weil es zum Teil sehr langatmig wird“, erzählt sie – dann wurde gekürzt. Überrascht hat sie allerdings, daß sie unter den Kollegen immer wieder auf „Neumann“-Fans stieß. Die Neumanns haben doch damals alle gehört, hieß es dann, die gehörten dazu, waren eine richtige Institution.

Heute abend um 19.05 Uhr läuft der erste Teil unter dem Titel „Familie in Serie“. Teil zwei und drei werden am 17. und 24. Juni ausgestrahlt

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