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Der große Exodus aus den Museen

■ Interessante Menschen erzählen über neue Formen von Kunst und deren Vermittlung

Schwimmbäder haben Begrenzungsmauern. Ihr Kopf hat Begrenzungsmauern. Meiner auch. Ozeane dagegen haben keine. Das haben Sie trotz Ihrer Begrenztheit schon vor dem unauffällig stadtdurchwuchernden Kunstprojekt „Do all Oceans have Walls?“ gewußt. Jetzt geht die „Gesellschaft für aktuelle Kunst“ (GAK) noch weiter. Zu einem Symposion an diesem Wochenende lud sie die Sorte von AusstellungsmacherInnen, KünstlerInnen und KunstkritikerInnen (aus Österreich, England, Schweden, Belgien, Texas und sogar Deutschland) ein, die auch die Kunst zu den mauerfreien Gegenständen dieser Welt zählen – vielleicht sogar zu den mauersprengenden. Drei Tage lang war und wird zu hören sein über das Ausradieren der Trennlinien zwischen Kunst und Kunsttheorie, KünstlerIn und Rezipient, Kunst und Alltag, Kunst und Journalismus, Museum und Alltagsraum.

Der etwas dröge James Lingwood zum Beispiel arbeitet in London bei einer Agentur mit dem reißerischen Namen „Artangel“, die es sich zur Aufgabe macht, für die Kunst neue Räume zu erobern, jenseits des „weißen Kunstcontainers“ Museum. Jeweils für ein paar Monate macht sich Nutzfreies in Industriedenkmälern, klassizistischen Villen, innerstädtischen Steppenlandschaften kurz vor der definitiven Baumaßnahme und an einer wunderbar versteckten Meeresküste breit. Es tritt in Dialog zu seiner ungewohnten Umgebung. „Dialog“, ein Schlüsselwort, das in den gestrigen Vorträgen so regelmäßigen Abständen auftauchte wie die Straßenbahnen der BSAG. Ebenso die Begriffe Prozeß, Projekt, Partizipation, Offenheit, Intervention, Integration und culturell studies.

Ironisch selbstreferenziell theoretisiert die hochintelligente, anregende Stella Rollig über die Theoriefundiertheit europäischer Kunst (angeblich im Unterschied zur Amerikanischen), über die Rituale von Vorträgen und Symposien. Als Bundeskuratorin Österreichs hat sie deshalb versucht, das Theoretische aus seinem unterirdischen Status zu befreien und deutlich und sichtbar in die Kunst hineinzuholen. Sie plaziert Vorträge so, daß sie zum Ausstellungsstück werden, featured KünstlerInnen, die der AusstellungsbesucherIn keine Bilder mehr vor den Latz knallen, sondern mit ihm Texte, zum Beispiel über Postkolonialismus, lesen und diskutieren. Sie schaufelt KünstlerInnen Plätze in Tageszeitungen und auf Plakatwänden frei für einen unkonventionellen Umgang mit tagespolitischen Themen (von Jörg Haider über den Zusammenbruch des Ostblocks und Jugoslawien bis zu einem Gewaltverbrechen). Und sie schuf einen bibliotheksartigen Raum mit Büchern, Internetanschluß und Sofas, der sich als „Homebase“ des kunsttheoretischen Diskurses versteht. Ob diese neuen Räume tatsächlich mit neuem Geist gefüllt wurden und nicht nur im Uralt-Gequatsche wiederhallen, erfuhr man nicht. Ob die Kunstinteressierten dieser neuen nomadischen Kunst auf ihren Schleichwegen durch Vorstädte, Natur und diversen Intimssphären folgen können und wollen, auch nicht.

Aber immerhin gibt sie zu bedenken, daß die neue grenzensprengende Kommunikationslust der Künstler nicht nur toll ist. Vielleicht ist sie auch nur Folgeerscheinung jenes Zeitgeists, der schließlich auch in Werbung, Managmentkursen, TV-Talkshows und vielen anderen erzkapitalistischen Ar-mutszeugnissen ganz auf Kommunikation und Vermittlung setzt.

So nährt zum Beispiel das Projekt „Vibes detector“ der Künstlerin Jeanne van Heeswijk den Verdacht, daß die Ausbreitung der Kunst in neue Räume vielleicht auch mit Verflachung einhergeht. Mit High Tech (DAT-Recorder u.a.) soll das Gegrummel und Gemurmel des Alltags eines Londoner Stadtteils eingefangen werden. Ob dabei mehr herauskommt als bei einer Bildzeitungsleserbriefseite? Ob der herrschaftsfreien Dialog zwischen Kunst und Fließbandarbeiter wirklich wahnsinnig kreative, wahnsinnig überraschende Sachen zutage fördert? Immerhin kann sich der Künstler bei so viel Offenheit die Arbeit des Gestaltens sparen. bk

Eine Menge weiterer wichtiger Figuren der europäischen Kunstszene sind (Sa. und So. von 10-17 Uhr) für schlappe 15 Mark Tagesgeld im Gästehaus, Teerhof 58, kennenzulernen

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