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Free Willy's Engel Egon

Das abenteuerliche Leben des Autobiographen Sabelus-Frach  ■ Von Mathias Bröckers

Einen Rezensenten hat das Werk bisher nicht gefunden, kein Radio hat berichtet, keine Talkshow den Autor eingeladen, und auch diese dringende Leseempfehlung hätte nicht erscheinen können, wäre Will-Frieden Sabelus- Frach nicht persönlich aufgekreuzt. „Da ist ein ziemlich bunter Mensch, der mit dir sprechen will“, hatte meine Mitarbeiterin den unangemeldeten Besuch angekündigt und auf meinen etwas unwirschen Blick hinzugefügt: „Er sieht aus, als ob er viel Zeit hätte, und er hat einen großen Hund dabei.“ Wer kann da widerstehen?

Eigentlich wollte er per Post zu meinem Buch über Hanf gratulieren; doch, sowieso gerade in Berlin, würde er den Brief halt persönlich überreichen. „Ich bin ein alter Hippie aus dem Osten und jetzt Hanfbauer in 1.111 Meter Höhe, auf einem Berghof in Kärnten“, strahlte er. Das mit dem Hippie war unübersehbar: die Jeans über und über bestickt wie ein Teppich, der lange Mantel mit Stickereien verziert, ein Hut mit Feder auf dem Kopf, ein alter Rucksack, ein schwarzer Sennhund mit rotem Halstuch – und hinter dem Berliner und Kärntner Slang hörte man den sächsischen Sound. Willy erzählte von dem verlassenen Berggehöft, seinen Tieren, dem Hanfanbau und fragte: „Könnte man die lustige Hanffibel aus dem Dritten Reich in eurem Buch nicht einmal separat drucken, ich könnte damit all die Nazi-Bauern in Kärnten gewinnen. Wenn die hören, daß auch Adolf für Hanf war, sind die sofort dabei...“

Wie wird einer aus dem Osten in den 90ern zu solch einem Modell- Blumenkind, wie sie im Westen schon seit den 70ern nahezu ausgestorben sind? „Das abenteuerliche Leben des Will-Frieden Sabelus- Frach“ erreichte mich wenige Tage nach diesem Treffen in Form seiner Lebensgeschichte, die er der Journalistin Friederun Pleterski erzählt hat – und es haute mich um. Seit Jörg Schröders „Siegfried“ oder Peter Kupers „Hamlet“ war mir so eine Biographie nicht mehr untergekommen – ein Buch, am Abend müde aufgeschlagen, um mal kurz reinzuschauen, das einen dann um die Nacht bringt.

Kindheit in den 50ern in sächsischen Dörfern, die Mutter Kellnerin, später selbständige Wirtin, der frühreife Sohn schon bald überall dabei: Zigaretten, Alkohol, Sex. Abends und am Wochenende Aushilfe im Lokal, Klemmereien und kleinerer Beschiß zur Taschengeldaufbesserung. Nach der Schule Ausbildung zum Kellner und Verfeinerung der von klein auf gelernten Tricks zur Gehaltsaufbesserung in diesem Gewerbe. Trotz mehrfacher Rausschmisse schlägt sich der smarte Willy durch – die schwulen Kollegen sind stets auf der Seite des hübschen Bengels, auch wenn der nur auf Frauen steht – bis hinter die Bar der Topadresse der DDR-Gastrononomie, des Berliner „Cafés Moskau“.

Eine Steigerung gab es von hier noch für einen Kellner: die große Raststätte am Hermsdorfer Kreuz, wo die Transitreisenden in Westmark zahlten und die Kellner an der Kasse unbemerkt in Ostmark abrechnen konnten. Mit dem Sprung in diese Geldwaschanlage wird Willy „schweinisch reich, ein Professor hatte die Hälfte“, und macht die Mädels mit West- Strumpfhosen, Jeans und Haarspray reihenweise schwach.

Doch er will in den Westen, schwimmt über die Donau nach Jugoslawien und landet schließlich in einem hessischen Auffanglager. Vom Playboy und King im engen Osten zum frustrierten Flüchtling mutiert, rappelt er sich wieder hoch – von der Puffszene in West- Berlin bis zum Barmann des Edelhotels „Kempinski“ und zum Cocktailmixer diskreter Luxuspartys. Dann der Schock: Er weicht bei einer Autofahrt von der Transitautobahn ab, wird kontrolliert, verhaftet und kommt ins Gefängnis nach Bautzen. Bei seiner Vernehmung flippt er aus und verlangt eine Bibel – das Ergebnis ist verschärfter Knast im Bunker, eine dunkle Gummizelle. Weil er bei jedem erneuten Verhörversuch zuerst eine Bibel verlangt, kommt er noch mehrfach dorthin zurück und bricht irgendwann den Bunkerrekord des Gefängnisses, und dies ohne große Mühe, denn irgendwann erscheint ihm in der dunklen Zelle ein Lichtstrahl, „der sich vor meinen Augen in einen Engel verwandelte“. Willy nennt seinen Schutzengel Egon und gerät mit ihm in schwere Diskussionen, als er, aus dem Bunker entlassen, tatsächlich eine Bibel bekommt und ziemlich entsetzt ist, als er sie zum erstenmal liest. Doch er schwört schließlich bei Gott, daß er nie wieder kellnern und betrügen wird, wenn er hier wieder rauskommt.

Am 7. Oktober 1979 ist es soweit: Im Rahmen einer Amnestie wird Willy nach 15 Monaten in den Westen abgeschoben und nach einem kurzen Rückfall in den alten Beschißmus zum Aussteiger und Tramp. „Klopfe an, und dir wird aufgetan.“ Nach dieser Anweisung aus dem Neuen Testament wandert er in den kommenden Jahren mit einem Fahrrad, einer Ente und einem Hund durch Europa – und landet irgendwann nach vielen Jobs, Frauen und Erlebnissen auf einem verlassenen Gehöft in den Kärntner Bergen.

So weit in aller Kürze der Stoff des Buchs. Wie gesagt: Ich wollte nur kurz reinschauen, doch hielt es mich die halbe Nacht wach. Mit seinen prallvollen Geschichten mitten aus dem richtigen Leben, ganz anders als die meist jämmerlichen, miesgelaunten Ausdünstungen unserer zeitgenössischen (Ost-)Literaten; mit Details, Witzen und Hintergründen einer zwischen Kellner und Kommunist, Casanova und Jesus-Freak, Häftling und Hänfling, Halbseide und Sinnsuche changierenden Vita. Ein deutsch-deutscher Film, wie er bisher nur im Buche steht, und einmal mehr ein Beleg für die uneinholbare Größe der kleinen, der kleinsten Literatur.

„Vogelfrei: Eine Lebensgeschichte. Das abenteuerliche Leben des Will-Frieden Sabelus- Frach“. Aufgezeichnet von Friederun Pleterski. Eichborn-Verlag 1997, 262 Seiten

Der Autor liest am 16. Juni um 20 Uhr in der KulturBrauerei.

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