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Keine Selbstdarsteller, nirgends

„Soziale Disziplin“: DFB-Trainer Berti Vogts glaubt, rechtzeitig vor dem heutigen WM-Auftakt gegen die USA sein Team wieder zum Star kollektiviert und diszipliniert zu haben  ■ Von Peter Unfried

Nizza/Paris (taz) – Seit der Kanzler da war, hat sich Berti Vogts verändert. Wirkt er plötzlich nicht größer, seit Kohl ihn einen „klugen, einsichtigen Mann“ geheißen hat, der „die menschliche Bedingtheit“ erkenne? Und ist er nicht tatsächlich ein solcher Mann? Ja, natürlich ist Vogts zuversichtlich, daß alles gut ausgehen wird. Aber, gibt er bescheiden zu bedenken: „Ich war vor vier Jahren auch Optimist.“

Vielleicht kam der veränderte Eindruck auch daher, daß der DFB-Trainer gestern erstmals nicht in seinen üblichen Dienstkleidung herumlief, sondern im etwas eleganteren Ausgeh-Anzug, der sogenannten „hellen Kombination“. Vogts hatte es eilig. Er war nämlich auf dem Weg zum Flughafen. Von dort flog das Team nach Paris, wo man am Abend den heutigen Spielort Parc des Princes in Augenschein nahm.

Heute früh wird Vogts den Spielern mittels eines einstündigen Videos vorführen, was es mit dem Gegner USA auf sich hat. Sein Kapitän Jürgen Klinsmann hat bereits vermutet, man habe es zu tun mit den Qualitäten Laufstärke, Physis und Selbstbewußtsein. Das alles, glaubt Vogts, haben die Seinen auch anzubieten.

Natürlich hat Vogts öffentliche Auftritte in der vergangenen Woche im wesentlichen damit verbracht, die Mannschaft als Star auszurufen. Das bedeutet: An der „sozialen Disziplin“ der in ihren Klubs gelegentlich etwas individuell fixierten Profis zu arbeiten.

Sein Druckmittel ist im Moment so stark, daß dafür sogar ein Lothar Matthäus stille schweigt, obwohl er doch gefragt wird. Es ist das Versprechen auf Einzug in eine Heldenhalle, die kollektive Erinnerung das Landes. Das ist ein ideeller Anreiz, den man allen handelsüblichen Vorurteilen zum Trotz nicht für gering halten sollte. Insbesondere, wenn er verbunden ist mit dem Irdischen, also nicht unerheblichen ökonomischen Vorteilen.

Keeper Andreas Köpkes Position ist unangreifbar, aber der redet ja sowieso nie großspurig daher. Die meisten anderen kuschen, wenige wie Thon, Kohler und Bierhoff konnten es sich erlauben, starke Positionen durchblicken zu lassen. Es sei klar, sagt Klinsmann, der auch dazugehört, „daß vor der EM vieles klarer definiert war“. Das werde sich nach dem USA- Spiel „reguliert haben“ – einen Sieg vorausgesetzt, das versteht sich.

Vogts glaubt ja seit längerem zu wissen, mit welchem Spiel er WM- Spiele gewinnen kann – und mit welchen Spielern. „Wer aufgepaßt hat“, sagte er gestern fröhlich, „muß es wissen.“ Das gilt in der Annahme, der für die linke Seite zuständige Christian Ziege werde heute auflaufen können.

Aber es gibt eine größere Unsicherheit. Häßler? Oder Möller? Für ersteren spricht indirekt der Kapitän, wenn er in einem anderen Zusammenhang darauf verweist, dieser habe die Hälfte seiner Tore vorbereitet. Nun könnte man argumentieren, dies sei ja zuletzt eine eher ziemlich unbedeutende Zahl gewesen. Dagegen ist zu sagen, daß Oliver Bierhoff ähnliches anklingen läßt. Vogts' Absicht, den Titel mittels Hochgeschwindigkeitsfußball zu holen, spricht aber eindeutig für Möller.

Nur gut, daß bei aller bangen Ungewißheit die Frage „Häßler und Möller?“ beantwortet ist. Die Antwort lautet: Hamann und Jeremies. Denn wenn auch noch Klinsmann sagt, für die Außen (Ziege und Heinrich) sei es besser, wenn sie durch eine Fünfer-Abwehr abgesichert würden, müssen neben dem Libero Thon und seinen Knechten Wörns und Kohler die zwei Ecken der zentralen Triangel Defensivkräfte sein. Das ist für Vogts offenbar eine grundsätzliche Erkenntnis.

Die Frage Häßler oder Möller dagegen ist auch dann nicht beantwortet, wenn heute abend einer der beiden auf dem Spielberichtsbogen steht. Man muß sie in zwei Teilfragen spalten: Wessen vermeintliche Offensiv-Qualitäten sind wichtiger für das Team? Wer ist eher in der Lage, diese Qualitäten auf WM-Niveau auch tatsächlich einzubringen? Wer arbeitet in den restlichen 87 Minuten ohne Ball härter gegen seine Defensiv- Schwächen an? Die Antwort? Bringt das Turnier.

Andreas Möller hat in einer Art öffentlichem Schwur verkündet, neben der Konzentration auf seine Stärken verspreche er „alles zu tun, um der Mannschaft zu helfen, wenn die anderen in Ballbesitz sind“. Das ist klug. „Selbstdarsteller bringen mir nichts“, sagte Vogts gestern und schaute noch einmal extra streng. Wer sich nicht daran halte, könne „sehr schnell von der Bank aus zuschauen“. Man kann aber selbstredend davon ausgehen, daß Möllers Angebot auch für den Fall gilt, daß er einmal nicht direkt auf dem Spielfeld Einfluß nehmen sollte.

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