: Kohl entgleitet die EU-Politik
Auf dem EU-Gipfel sucht der Kanzler vergeblich nach Verbündeten. Selbst christdemokratische Kollegen aus Belgien und Luxemburg gehen auf größere Distanz ■ Aus Cardiff Alois Berger
Der „verwundete Elefant der EU“, wie eine britische Zeitung den deutschen Bundeskanzler nannte, wird nun auch in Europa zunehmend einsam. Auf dem EU- Gipfel in Cardiff ging nach dem italienischen Regierungschef Romano Prodi auch der belgische Premier Jean-Luc Dehaene sichtbar auf Distanz zum Kanzler.
Die beiden Christdemokraten verübeln ihm, daß er die Aufnahme der Berlusconi-Abgeordneten in die Fraktion der Europäischen Volkspartei (EVP) im Europaparlament durchgedrückt hat. Die EVP hat dadurch zwar mehr Gewicht, aber einen schlechten Ruf.
Denn der Rechtspopulist Berlusconi hat 1994 in Rom die Faschisten in die Regierung aufgenommen und muß sich wegen verschiedener Delikte vor Gericht verantworten. Die Christdemokraten aus den Beneluxländern drohen deshalb sogar mit einer Abspaltung. Der italienische Premier Romano Prodi hat in Cardiff angekündigt, an EVP-Treffen nicht mehr teilzunehmen, solange er dort auf seinen Oppositionsführer trifft.
Kohl hat ganz offensichtlich die Instinkte verloren, die ihn in der Europapolitik bisher auszeichneten. Seine Chancen, vom Gipfel der 15 Staats- und Regierungschefs irgendeinen greifbaren Erfolg mit nach Hause zu bringen, sind damit weiter gesunken.
Ausgerechnet der Belgier Dehaene, der sich sonst gut mit Kohl versteht, zerpflückte die deutsch- französische Forderung, die Kompetenzen der EU zurückzuschneiden. Der gemeinsame Brief von Kohl und dem französischen Präsidenten Chirac zum EU-Gipfel erschöpfe sich in vagen Anschuldigungen gegen EU-Institutionen. Dehaene ließ durchblicken, daß er die undifferenzierte Bürokratenschelte vor allem für Wahlkampfgeklingel hält.
Zuvor hatte schon der EU- Kommissionspräsident Jacques Santer, ebenfalls ein Christdemokrat, die Kritik zurückgewiesen. Es sei durchaus sinnvoll, über eine klarere Kompetenzverteilung zwischen EU und nationalen Regierungen zu reden. Er habe aber genug davon, sich dauernd für EU- Vorschriften geißeln zu lassen, die der EU-Kommission von den Regierungen aufgezwungen worden seien.
Auch bei der zweiten Kohl-Forderung, der Reduzierung des deutschen Nettobeitrags an die EU, haben sich die Fronten offensichtlich verhärtet. Selbst der Luxemburger Premier Jean-Claude Juncker blieb erstaunlich wortkarg. Der Christdemokrat und engste Vertraute Helmut Kohls im Kreis der Regierungschefs war sonst immer der erste, der den deutschen Wunsch nach Entlastung rechtfertigte.
Eine Lösung, sah Kohl ein, werde es nicht vor 1999 geben, wenn Deutschland die EU-Präsidentschaft übernimmt. Die Hoffnung ist um so seltsamer, als der Vorsitz im EU-Rat nur Pflichten, aber keine zusätzlichen Rechte mit sich bringt. Alle Versuche, die Präsidentschaft für ein eigenes Anliegen zu nutzen, sind bisher gescheitert. So etwas lassen sich die anderen Regierungen nicht gefallen.
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