: Endstand: 63 Verletzte
Nachdem englische Hooligans die schwersten WM-Ausschreitungen seit 1982 provozierten, wollten deutsche Kollegen nicht nachstehen und randalierten in Paris ■ Von Dorothea Hahn
Paris (taz) – „Die Polizisten haben untätig danebengestanden“, schimpfte ein Barkeeper in Marseille, während er gestern die Reste seines Fensters zusammenkehrte. Die „haben uns nicht geschützt“, wütete eine Tabakverkäuferin, die sich am Vorabend im Laden verbarrikadiert hatte, während draußen eine stundenlange Straßenschlacht zwischen englischen Hooligans auf der einen und tunesischen Fußballfans und französischen Vorstadtjugendlichen auf der anderen Seite tobte.
In Marseilles Innenstadt und auf dem vorgelagerten Strand Prado spielten sich Montag abend die schwersten Ausschreitungen während einer WM seit dem Jahr 1982 ab. Mit Rufen wie „Stolz, ein Weißer zu sein“ und mit zum Nazigruß erhobenen Händen waren englische Fußballfans seit dem Nachmittag am Quai des Belges auf fahnenschwenkende Tunesier losgegangen. Unter anderem bewarfen sich die teils besoffenen Männer im Laufe des Abends mit Bierbüchsen, droschen mit Eisenstangen aufeinander ein, die Engländer verbrannten mindestens eine tunesische Fahne. Bis in die späte Nacht versuchten Hundertschaften der französischen Polizei, sekundiert von 30 hoffnungslos überforderten „Hool-Experten“ von der britischen Insel, sie voneinander zu trennen.
Die Bilanz dieser englisch-tunesischen Begegnung: 63 Verletzte – darunter mindestens einer schwer mit einem Messerstich im Rücken – und 57 Festgenommene. Für fünf Engländer und einen Tunesier führte die Feldschlacht gestern zu einem vorzeitigen Ende der WM. Innenminister Jean-Pierre Chevènemet schob sie im Eilverfahren ab.
900 Kilometer nördlich nahmen Montag abend Polizisten 20 deutsche Fußballfans in Gewahrsam. Die Deutschen randalierten nach Polizeiangaben vor dem Stade de France, weil sie entgegen ihren Erwartungen keine Eintrittskarten mehr bekamen. Weitere rund 200 wütende deutsche Schlachtenbummler hielt die Polizei in mehreren hundert Metern Entfernung vom Stadion in Schach.
Während im Inneren der Fußballstadien bislang sämtliche Begegnungen friedlich abliefen, schien eine Fortsetzung der Gewalt auf der Straße gestern nicht ausgeschlossen. In Toulouse, wo England am kommenden Montag auf Rumänien trifft, hat die Polizei deswegen Verstärkung bekommen, außerdem ist ein für den Abend geplantes Musikfest abgesagt worden.
Warum es trotz monatelanger Zusammenarbeit zwischen französischer und englischer Polizei nicht gelang, die Hools von der WM fernzuhalten, erschien gestern sowohl in Frankreich als auch in Großbritannien, das gerne die WM des Jahres 2006 ausrichten möchte, mysteriös. Während die BritInnen erklärten, daß zahlreiche der Marseiller Randalierer Newcomer seien, die noch nicht in ihrer Hool-Kartei registriert sind, versprach der französische Innenminister „Härte“ im Umgang mit allen Hools, die noch kommen mögen, und lobte überschwenglich seine Polizei.
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