Haben Milosevic und Jelzin eine Nato-Intervention im Kosovo abgewendet? Was immer dran ist an der Ankündigung des Präsidenten Restjugoslawiens, den Forderungen des Westens zuzustimmen - im Sinne des Völkerrechts bräuchte die Nato auf jeden

Haben Milošević und Jelzin eine Nato-Intervention im Kosovo abgewendet? Was immer dran ist an der Ankündigung des Präsidenten Restjugoslawiens, den Forderungen des Westens zuzustimmen – im Sinne des Völkerrechts bräuchte die Nato auf jeden Fall ein UNO-Mandat.

Eskalation vertagt, das Dilemma bleibt

Als „letzte Chance“ zur Abwendung einer militärischen Intervention im Kosovo galten die gestrigen Moskauer Gespräche zwischen Boris Jelzin und Slobodan Milošević in zahlreichen Nato- Hauptstädten. Wie so häufig während vier Jahren ergebnisloser Bosnien-Diplomatie mußte diese Phrase herhalten zur Überdeckung der westlichen Konzeptionslosigkeit und interner Differenzen. Doch ob diese „letzte Chance“ bei der Begegnung zwischen den Präsidenten Rußlands und Exjugoslawiens genutzt wurde, ist bislang offen. Aus Moskau verlautete gestern lediglich die Mitteilung von Außenminister Primakow, Milošević habe allen zentralen Forderungen der Kontaktgruppe zugestimmt. Zugleich bekräftigte die russische Regierung (wie inzwischen auch die chinesische) noch einmal die Ablehnung einer militärischen Intervention im Kosovo.

Sollte sich die Darstellung Primakows erneut als heiße Luft erweisen, befände sich die Nato in dem Dilemma, das bereits nach der Tagung ihrer Verteidigungsminister in der letzten Woche absehbar war. Mit dem erschwerenden Unterschied, daß eine auf dieser Tagung angekündigte Eskalationsmaßnahme mit den inzwischen erfolgten Flugmanövern über Albanien und Makedonien ausgeschöpft wurde – offensichtlich ohne nennenswerten Eindruck in Belgrad zu hinterlassen.

Bereits in den letzten Tagen wurden hinter der auf der Verteidigungsministertagung demonstrierten selbstbewußten Einigkeit der Nato Ratlosigkeit und zunehmend auch Differenzen über das weitere Vorgehen deutlich. Ungeklärt und umstritten sind sowohl die politischen Ziele einer etwaigen Militärintervention im Kosovo wie ihre völkerrechtlichen Voraussetzungen. Bei der Frage, ob die Nato ein Mandat des UNO-Sicherheitsrates braucht, handelt es sich keineswegs um eine überflüssige, „typisch deutsche Debatte“, wie der SPD-Fraktionsvorsitzende Rudolf Scharping behauptete. Diese Äußerung offenbart ein geradezu erschreckendes Maß an Unkenntnis und politischem Leichtsinn des möglicherweise künftigen Außen- oder Verteidigungsministers Deutschlands. Dasselbe gilt für Scharpings Behauptung, für die von der Nato seit Wochen erwogene Sicherung der Außengrenzen des Kosovo durch Truppenverbände liege ja bereits ein Mandat vor, und im übrigen seien an der Grenze zwischen Exjugoslawien und Makedonien ja bereits entsprechende Truppen stationiert.

Die an dieser Grenze stationierten Verbände von rund 600 Soldaten aus den USA und aus skandinavischen Staaten sind eine UNO- Blauhelmtruppe mit einem (bei Zustimmung Rußlands und Chinas) beschlossenen präventiven Mandat. Ihr ausschließlicher Auftrag ist die Überwachung der Grenze und die Unterbindung eventueller Feindseligkeiten zwischen den Armeen Restjugoslawiens und Makedoniens. Die bei der Nato erwogenen Aufgaben für eine Grenztruppe – Stopp und Kanalisierung von Flüchtlingsströmen aus dem Kosovo, Unterbindung von Waffen- und Kämpfernachschub für die Kosovo-Befreiungsarmee – sind vom Mandat dieser UNO-Truppe nicht abgedeckt. Richtig an Scharpings Äußerung ist, daß die Nato für eine Stationierung von Truppen auf den Territorien Albaniens und Makedoniens kein UN-Mandat braucht.

Doch für alle derzeit diskutierten Nato-Aktionen auf oder über dem Territorium des Kosovo, für die ja weder mit dem Ersuchen noch einer Einwilligung der Regierung in Belgrad zu rechnen ist, braucht die Nato ein Mandat des UNO-Sicherheitsrates auf Basis von Kapitel 7 der Charta (Zwangsmaßnahmen). „Dies ist von der völkerrechtlichen Lage her völlig klar“, wie der Vorsitzende des Bundeswehrverbandes, Gertz, gestern zu Recht festgestellt hat. Eine Mandatierung allein durch die Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) reicht nicht aus. Auch die müßte ein UN-Mandat erhalten und könnte dann ihrerseits die Nato mit der Durchführung von Maßnahmen beauftragen.

Sollten, wie bislang erwogen, Großbritannien oder andere Staaten im Sicherheitsrat tatsächlich formal ein Mandat für Militäraktionen der Nato im bzw. über dem Kosovo einbringen und sollte dieser Antrag bei der Abstimmung tatsächlich am Veto Rußlands (sowie eventuell Chinas) scheitern, wäre dies ein Präzedenzfall, und damit eine historisch neue Lage gegeben. Dann, aber erst dann, stellte sich die von Gertz aufgeworfene Frage, ob die Nato-Mitglieder – oder andere Staaten – auch im Rahmen einer „Nothilfe“ ohne UNO-Mandat eingreifen könnten, um den Vertreibungskrieg der serbischen „Sicherheitskräfte“ gegen die albanische Zivilbevölkerung im Kosovo zu stoppen.

All diese völkerrechtlichen Fragen werden immer auch durch politische Erwägungen bestimmt. Bei der Debatte über einen möglichen neuen Militärschlag einer US-geführten Koalition gegen Irak ohne vorherigen Beschluß des Sicherheitsrates im Frühjahr vertraten Rußland, China und Frankreich öffentlich zwar ein mit völkerrechtlichen Argumenten begründetes „Nein“. Doch keines dieser drei ständigen Mitglieder des Sicherheitsrates unternahm irgendwelche Anstrengungen im Sicherheitsrat, um die Position der USA – ein erneuter Militärschlag gegen Irak sei völkerrechtlich bereits abgedeckt durch frühere Resolutionen aus den Jahren 1990/91 – überprüfen und widerlegen zu lassen. Statt dessen signalisierten Moskau, Peking und Paris Richtung Washington, daß sie sich im Ernstfall einer Abstimmung im Sicherheitsrat enthalten würden. Es ist nicht auszuschließen, daß Rußland sich auch jetzt schließlich genau so verhält – im Gegenzug für massive Finanzhilfen aus dem Westen oder einen Teilerlaß der horrenden russischen Auslandsschulden, zu deren Tilgung Moskau derzeit täglich und noch bis zum Jahresende zwei Milliarden US-Dollar aufbringen muß. Andreas Zumach