■ Surfbrett: Die Zeit, jetzt wie Tag und Nacht
Nicht einmal die Zeit bleibt im Internet, was sie war. Grau vor allem und so, wie es eben hinten herauskommt, wenn man vorne HTML eingibt. Immerhin lesbar, so lesbar wie die Zeit ist. Vorbei. Seit Anfang der Woche kommt unter www.zeit.de Standesgemäßeres auf den Bildschirm. Ein Maßstab geradezu für das, was an Webdesign trotz der grauenerregenden grafischen Vorgaben des HTML- Formats möglich ist. Kein Bildchengewitter, nur ein wenig Animation gleich zu Beginn: Laufende Nullen und Einsen erinnern kurz an die logischen Fundamente, dann werden sie durch den klassischen Namenszug der Zeit ersetzt. Er führt, angeklickt oder automatisch, zur Leitseite, die ein paar Themen anreißt, sonst aber das hauptsächliche Navigationsinstrument inszeniert. Es besteht aus einem dezent technoiden Drehknopf, mit dem die Hauptrubriken eingestellt werden können, darunter, ergänzend, einer konventionelleren Menüliste. Nichts daran drängt sich störend auf, die Wahlmöglichkeiten sind zeittypisch, und auch in Hamburg hat man den künftigen Online-Journalismus noch nicht ausdefiniert. Nur ist das Fragment ungeahnter technischer Möglichkeiten und Irrwege in deutscher Sprache noch nie so elegant ausgebreitet worden. „Gediegen“ ist das vermutlich passendste Adjektiv für diese Arbeit der Hamburger Agentur „Lava“. Perfekt ist sie gleichwohl nicht. Lobenswerterweise bietet zum Beispiel die Online-Redaktion ihre Texte auch in einer druckbaren Form an, verfiel dabei jedoch auf die Idee, sie in drei Zeitungsspalten umbrechen zu wollen. Papier ist geduldig, HTML aber nicht. Die Webdesigner waren gezwungen, die Texte gewaltsam in eine Tabelle zu gießen, die dem Fluß der Absätze nur im zufälligen Ausnahmefall entspricht. Man sieht, daß auch das World Wide Web nur von Technikern erfunden wurde, die sich unter einem gedruckten Text höchstens eine Schreibmaschinenseite mit Leerzeilen zwischen den Absätzen vorstellen können. Also keinesfalls die Zeit. Der Ärger verfliegt aber sofort beim Anklicken jenes seltsamen, runden Buttons ohne erkennbare Funktion: Er schaltet die Darstellung der schwarzen Zeitungsschrift auf weißem Grund in das Gegenteil um, das echten Hackern schon immer besser gefiel: leuchtende, möglichst unverständliche Zeichen auf einem Bildschirn in der Farbe der ewigen Nacht des Alls...
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