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Drücken mit öffentlicher Duldung

Politiker und Polizeipräsidenten haben in der taz eine Abkehr von der konservativen Drogenpolitik gefordert. Das Beispiel Hamburg zeigt, wie es gehen kann. Im „Drob Inn“ können sich die Süchtigen einen Schuß setzen  ■ Aus Hamburg Ute Konrad

Wieviel waren das? Drei Rote? Okay, und Alko- Tupfer, viermal Wasser und zwei Asco. Rote Wundsalbe? Ja, klar.“ Zusammen mit den drei roten Einwegspritzen, sterilverpackten Alkoholpads, Patronen mit destilliertem Wasser und zwei Beutelchen Ascorbinsäure schiebt ein Praktikant die Portion Betaisadonasalbe durch den Schalter nach draußen. Mit beiden Händen greift der Typ im abgewetzten Parka zu und läßt die Sachen in seine Taschen gleiten. Hinter ihm in der Warteschlange raschelt ein Mann hektisch mit einer aufgeschlitzten alten Plastiktüte herum. Umständlich fummelt er schließlich eine handvoll benutzter Spritzen heraus. Einzeln, zum Mitzählen, läßt er die verschmierten Pumpen in einen Behälter fallen. Spritzentausch in der Hamburger Drogenhilfeeinrichtung „Drob Inn“. Werktags von 13 bis 19 Uhr.

Der Andrang ist groß. „Die Spritzen tauschen wir eins zu eins. Das funktioniert wie ein Pfandsystem. Seitdem liegen draußen kaum noch Pumpen herum“, sagt Bernd, Sozialpädagoge im „Drob Inn“. Für besseren Stoff können die Mitarbeiter nicht sorgen. Den gibt es weiterhin nur illegal zu kaufen. Die Qualität ist Glückssache. Am Hauptbahnhof und, seit die Polizeit dort Platzverweise ausspricht, zunehmend auch rund um den etwas abseits gelegenen Containerbau der Drogenhilfe.

Im sogenannten Café sind alle sieben Tische besetzt. Der lange Tresen ist umlagert. Lautstärke und Hektik erinnern an Fernsehbilder von der Börse. Anzug trägt allerdings niemand. Statt Geboten hagelt es Fragen: „Kann ich jetzt Wäsche waschen? Gibst du mir 'n Handtuch, ich will duschen? Was ist nun mit meinem Schlafplatz?“

Die Luft ist zum Schneiden, obwohl die Flügeltüren durch das ständige Kommen und Gehen immer offen stehen. Die HipHop- Klänge aus den Lautsprechern gehen unter im Stimmengewirr. Sozialpädagogen und studentische Hilfskräfte arbeiten gemeinsam hinter dem Tresen. Aufmerksam bedienen sie ihre Kundschaft. Saft 1 Mark, Kaffee 50 Pfennig. Der Hit: Heiße Schokolade. Gleich, um 14 Uhr, gibt es warmes Essen. Eine Mahlzeit für 3 Mark. „Hier haben die Junkies endlich mal einen Moment Zeit, sich ungestört hinzusetzen und zu essen“, sagt Amadeus, seit Jahren Krankenpfleger in der Drogenhilfe. „Entweder waren die Leute schon im Druckraum, oder sie stehen auf der Anmeldeliste. Die Tür haben sie im Blick. Es geht der Reihe nach. Das beruhigt. Keiner verjagt sie hier.“

Die Tür und der Anmeldeschalter zum Druckraum sind immer umringt. Zwischen Essen, Duschen, Reden, Raus und Rein – immer wieder Nachfragen: „Wie viele sind noch vor mir? Wann kann ich endlich rein? Kannst mich nicht vorlassen? O Mann, das ist doch Scheiße, so lange warten...“ Den Job hinter der dicken Glaswand teilen sich die Hilfskräfte. Eine Arbeitsschicht dauert 45 Minuten. Zur Anmeldung reicht der Vorname. Irgendeiner. Kein Ausweis, keine Versicherungsnummer, keine Formulare. Die Mitarbeiter unterliegen der Schweigepflicht. Zutritt zum Druckraum haben jeweils nur eine Sozialarbeiterin oder ein Sozialarbeiter. Sie betreuen den Konsum in dem gekachelten kalten Raum. Die Tür läßt sich nur von innen öffnen. Eine blasse Gestalt mit entspannten Gesichtszügen schlurft heraus. „Dieter!“ brüllt Peter den nächsten Namen auf der Liste. Das Grüppchen Wartender am Schalter schiebt sich ungeduldig ein Stück näher. Noch eine Chance für Dieter. Dann kommt der nächste Name: „Marie!“ Die zarte Frau steht schon bereit. Ungeduldig huscht sie durch den Türspalt nach drinnen. Die Tür schließt sich wieder. Angespannte Gesichter, Fäuste in Hosentaschen, ungeduldiges Hin und Her – warten oder draußen im Gebüsch drücken?

Marie hat es fürs erste geschafft. Sie ist drinnen. Utensilien für einen sauberen Druck bekommt sie an der Bar. Das Sortiment gleicht dem draußen am Schalter für Spritzentausch. Dazu kommen saubere Löffel in zwei Größen, Abbinder aus Kunststoff und Alufolie für diejenigen, die den Stoff lieber rauchen als spritzen. Es gibt fünf Druckplätze – einfache Stühle um einen langen Tisch gruppiert – und, durch eine Glasscheibe getrennt, drei Rauchplätze. „Wir achten darauf, daß möglichst niemand länger als zwanzig Minuten hier drin ist. Bei diesem Rhythmus können wir etwa 100 bis 120 Konsumeinheiten, also ,Schuß‘, am Tag anbieten“, rechnet Peter vor. „Der tatsächliche Bedarf hier im Bahnhofsviertel St. Georg liegt achtmal höher. Viele kommen erst gar nicht zu uns, weil sie wissen, daß sie nicht dran kommen. Und Wartezeiten von mehr als einer halben Stunde sind nicht drin. Da gehen die Leute vor die Tür.“

Was das bedeutet, davon können Anne, die Ärztin, und Amadeus ein Lied singen. „Wir haben inzwischen genau so viele Notfälle rund um das Haus wie hier drinnen“, sagt Amadeus. Kürzlich haben die beiden einen der drei Männer, die sich gerade draußen ihr Gift ausgekocht haben, mit dem Sauerstoffgerät ins Leben zurückgeholt. „Reiner Zufall, daß wir das mitgekriegt haben“, sagt der Helfer. Bisher waren Anne und er noch immer rechtzeitig zur Stelle. Doch bei dem Ansturm auf die Einrichtung kann dafür in Zukunft niemand mehr garantieren.

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