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Das parlamentarische Scheitern des Tabakgesetzes zeigt: Immer öfter übernehmen in den USA die Gerichte die Aufgaben der Legislative

Was der US-Senat nicht schafft, das leisten Gerichte. Durch das parlamentarische Scheitern des Tabakgesetzes ist die Auseinandersetzung mit der Tabakindustrie an die Gerichte zurückverwiesen. Anfang dieses Monats wurde erstmals vor einem Gericht in Florida einer Zivilklage stattgegeben und der Familie eines an Lungenkrebs gestorbenen Rauchers Schadenersatz zugebilligt. Etliche Bundesstaaten haben unabhängig von dem im Sommer 1997 geschlossenen Pakt in Klagen gegen die Tabakindustrie bereits Milliardensummen erstritten. Vierzig Bundesstaaten haben Klagen gegen die Tabakindustrie anhängig gemacht, und die Prozesse haben mehr über die Methoden der Tabakindustrie enthüllt als Anhörungen im sonst so anhörungsfreudigen US-Kongreß.

Dieses Verfahren läuft auf eine Verkehrung der Rollen von Legislative und Judikative hinaus. Eigentlich ist es in Demokratien üblich, daß die Legislative Steuern erhöht und Programme verabschiedet, deren Kosten von den Steuereinnahmen finanziert werden. Die Handlungsunfähigkeit des US-Kongresses aber hat dazu geführt, daß diese Aufgabe den Gerichten zufällt; durch Zubilligung von Schadenersatz treibt sie Gelder ein, über die dann Einzelpersonen oder Einzelstaaten verfügen können. Gemeinden und Kommunen lernen daraus, und die Auseinandersetzung mit der Tabakindustrie wird trotz des Scheiterns der Gesetzesvorlage Schule machen.

Daß nach der Tabakindustrie die Waffenindustrie dran sein würde, war naheliegend. Bisher sind alle Versuche, Waffenhersteller für Schußverletzungen bzw. deren Behandlung haftbar zu machen, gescheitert. Aber bis Ende Mai dieses Jahres scheiterten auch alle Schadenersatzklagen gegen die Tabakindustrie. Einen Durchbruch erzielte erst eine von einem findigen Anwalt in Mississippi entworfene Strategie, nach der nicht Einzelpersonen, sondern Gebietskörperschaften wie die Bundesstaaten gegen die Industrie klagen.

Für die Waffenindustrie zeichnet sich eine ähnliche Wende ab. Die Städte Philadelphia und Chicago arbeiten seit über einem Jahr an einer Klage gegen die Waffenindustrie. Letztlich sind es nämlich ohnehin nicht die Urteile, die in solchen Fällen zu Fortschritten führen, sondern die außergerichtlichen Verhandlungen der streitenden Parteien. So war es bei der Auseinandersetzung mit der Tabakindustrie, so könnte es zwischen Städten mit hoher Mordrate und der Waffenindustrie sein.

Was die Abgeordneten nicht schaffen – weil sie von den Wahlkampfspenden der Waffenlobby so abhängig sind, wie sie deren Kampagnen hilflos ausgesetzt sind –, das könnten die Städte hinkriegen. Ihnen wird möglicherweise gelingen, was Kritiker US-amerikanischer Waffenverrücktheit schon lange fordern: Schluß mit dem Verkauf von Handfeuerwaffen – vor allem an Bewohner von Städten, in denen der Besitz von Handfeuerwaffen gesetzlich eingeschränkt ist; Registrierung und Überprüfung von Waffenkäufern; Einbau von Sicherungssystemen wie Schlösser in Waffen.

Das Verfahren, wonach Gerichte an die Stelle der Legislative treten, mag in einzelnen Fällen zu Erfolgen führen. Insgesamt aber bedeutet die Verkehrung von Legislative und Judikative den Niedergang der Demokratie.

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