: Ewig gefangen auf der Insel der Glückseligkeit
Für Heterosexuelle bleibt es eines der letzten Geheimnisse aus der Welt der Homos: Warum bloß bleiben schwule und lesbische Paare nach einer Scheidung zusammen? Sie zelebrieren Innigkeit und Freundschaft, wo Streit, Abgrenzung und Distanz angeraten wären. Über eine eigentümliche Art des Minderheitenschutzes ■ Von Silke Mertins
Schnaufend schleppen sechs Frauen Kisten und Möbel aus dem fünften Stock einer Altbauwohnung im Hamburger Schanzenviertel, dem Lesbenhauptquartier der Stadt, in den gemieteten Kleinbus. Eva zieht um. Bei der Arbeit sind: Susanne, Evas Ex-Frau. Und Sabine, Evas-Ex-Ex-Frau. Außerdem Judit, Sabines Ex-Frau. Sowie Birgit, Sabines Neue, und Judith, eine bisher Unbescholtene.
Nachdem der ganze Kram in der neuen Bleibe verstaut und ausgiebig darüber gemault wurde, daß Eva ihren Helferinnen zugemutet hat, halbleere Nudelpackungen und veraltete Ikea-Kataloge mit umzuziehen, geht frau zum gemütlichen Teil über. Die Stimmung ist vertraut und gelöst. Keine Spannung zwischen all den ehemaligen und aktuellen Geliebten? Sicher, aber das Gemeinschaftsgefühl der Gruppe, die kleine Insel glückseliger Geborgenheit bloß nicht zu stören, ist oberste Lesbenpflicht. Denn was ist schon das Ich im Vergleich zum Wir, zum kollektiven Schutzwall gegen die feindliche Außenwelt?
Obwohl reichlich vorhanden, werden niedere Gefühle selten im offenen Streit, sondern, wenn überhaupt, auf der subtilen Ebene ausgetragen – mit den Waffen einer Frau. Männer sind anders, was Marios Auszug aus der gemeinsamen Wohnung mit Thomas beweist. Während ein befreundetes Paar Schrankteile im Lkw stapelt und eine Arbeitskollegin sich mit einem Spiegel im Treppenhaus abmüht, schreit Thomas vom Balkon herunter, er sei froh, „dieses Schwein endlich“ los zu sein. Mario antwortet, daß alle Nachbarn Zeugen werden, sein Ex treibe es mit jedem, sei „das Letzte“, und er würde zur Strafe nun alles dessen Vater berichten.
Drei Wochen später sitzen Mario und Thomas tuschelnd im Toklas, einem lesbischwulen Wirtshaus auf St. Pauli. Der Umzug? Schwamm drüber. Jedenfalls hat Mario Streß im Job, und den muß er mit einem Intimus, mit Thomas eben, durchsprechen. Von dem kleinen Nachbeben neulich einmal abgesehen, ist die Beziehung beendet. Man ist jetzt befreundet.
Auf den ersten Blick ist es verblüffend, wie oft lesbische und schwule Paare nach dem Ende ihrer Liebesbeziehung Vertraute bleiben. Viel häufiger als bei Heterobeziehungen ist die Scheidung offenbar kein Abschied für immer. Der Standardspruch „Wir können doch gute Freunde bleiben“ scheint keine Phrase.
Bloß: Warum eigentlich? Wieso kein Bruch nach einer in Langeweile erstickten oder durch Gemeinheiten, Betrug und Eifersucht vergifteten Beziehung? Kurz: Warum können Lesben und Schwule sich nicht anständig, gesund, konsequent und endgültig trennen wie andere Leute auch?
Zunächst scheint das „Zusammenhalten“ die natürliche Reaktion einer Minderheit, die sich in einer sie ausgrenzenden Mehrheit behaupten will.
Zum einen soll das Vorurteil, daß homosexuelle Beziehungen instabil seien, nicht bestätigt und deshalb die Scheidung durch Freundschaft abgemildert werden. Zum anderen will man sich böse Regungen einem Menschen gegenüber, dem man sich im Prinzip solidarisch verbunden fühlt, nicht erlauben. Schließlich soll die Gesellschaft die lesbischwule Lebensweise akzeptieren lernen, und da paßt der kleinkarierte Zoff um die Espressokanne und ein womöglich per Anwalt ausgetragener Streit, wer die gemeinsame Wohnung behalten darf, nicht ins (Selbst-)Bild.
Zudem ist es selbst in Metropolen kaum möglich, sich dauerhaft aus dem Weg zu gehen – mindestens in der Szene trifft man sich wieder. Will man die nunmehr grauenhafte, hinterhältige, von Grund auf schlechte Ex-Beziehung nie mehr sehen, müßte man schon die Stadt wechseln.
Doch all diese Gründe sind Ausreden. Das eigentliche Problem postamouröser Freundschaften ist, daß oft gar keine Trennung stattgefunden hat. Häufig war die Beziehung schon vor ihrem verkündeten Ende kein Ausdruck glühender Leidenschaft mehr, sondern eher geschwisterlich. Eine, bei der allzu große körperliche Nähe einem Inzest gleichgekommen wäre.
„Schwesternehe“ (unter Lesben) oder „Lochschwägerschaft“ (unter Schwulen) nennt man so ein Verhältnis, wie Brigitte und Donna es haben; die eine Zahnärztin, die andere Lektorin, ein gemeinsames Haus im Grünen bei Berlin. Tochter Anna ist sieben und ein durch künstliche Befruchtung in den USA entstandenes Wunschkind. Sex läuft schon lange nicht mehr, was nach außen hin verschwiegen wird. „Wegen der Kleinen“ bleiben die beiden dennoch zusammen, teilen Konto, Sorgen und Zahnpasta, obwohl „wir uns eigentlich getrennt haben“.
Ist das so ungewöhnlich? Verharren nicht auch Heteropaare wegen der Kinder, des Geldes oder aus Angst vorm Alleinsein in einer lustlosen Beziehung? Im Prinzip ja, doch mit dem großen Unterschied, daß das Ableben sexuellen Verlangens nicht durch symbiotische Nähe kompensiert wird. In Heterobeziehungen sorgen „unterschiedliche Biologie und fremd bleibende Rollenkonditionierungen für Distanz und gewisse Grenzen“, schreibt die Berliner Psychotherapeutin Monica Streit.
Mann und Frau können sich immer in ihre Geschlechterecke zurückziehen. In homosexuellen Beziehungen jedoch ist das Gegenüber ein Spiegel. Der Körper und die Erfahrungen des anderen sind kein Mysterium. Die Ähnlichkeit schafft Nähe, verführt aber auch dazu, die für eine Beziehung nötige Distanz bis hin zur Leugnung jeglicher Differenz aufzulösen. Und das ist nach Streits Ansicht der Anfang vom Ende. Besonders Frauenbeziehungen hält sie für „symbiosegefährdet“. Denn „schnell sind Frauen bereit, Unterschiede zu nivellieren; schnell wird Fremdheit im ,Genau wie bei mir!' verwischt“. Ergo: „Trennung erfolgt unter dramatischen Gesten, es scheint um Leben oder Nichtleben zu gehen.“ Man trennt sich besser nicht – und bleibt befreundet.
Wird das „Verschmelzen“ zu stark, entschließen sich die meisten lesbischen Paare als ersten Schritt zur „Opferung der Sexualität“, stellt die amerikanische Psychologin Joyce Lindenbaum fest. Interessanterweise klagten aber nicht alle Frauen über einen daraus entstehenden Leidensdruck, sondern betonten, wie wichtig ihnen die „Beziehung“ und die „Kommunikation“ sei. Von der asexuellen, doch trauten Beziehung zur Busenfreundschaft ist es dann nur noch ein kleiner Schritt.
Historisch scheint eine auf Dauer angelegte sexlose Beziehung ohnehin die menschliche Regel. Für den Hamburger Sexualwissenschaftler Gunter Schmidt ist die „Sexualisierung der Ehe“ erst in unserem Jahrhundert postuliert worden. Diese Beziehungskonzeption „macht dem Paar sexuelle Leidenschaft beinahe zur Pflicht“. Zwar belegen Studien, daß die Lust im Laufe der Beziehung abnimmt. „Dennoch soll die Zweierbeziehung dem Ideal nach eine Dauereinrichtung zur Ausübung leidenschaftlichen Verlangens sein.“ Schmidt: „Das ist die Quadratur des Kreises.“
Die Schwulen seien dabei die „Avantgarde“. Sechzig Prozent der verpaarten Homos gönnten sich außerehelichen Sex. „In homosexuellen Beziehungen ist es offensichtlich einfacher, die Ausschließlichkeit der Sexualbeziehung nicht zum Kriterium intakter Partnerschaft werden zu lassen.“ Diese sexuellen Erlebnisse seien „subkulturell institutionalisiert“ und in der Regel einmalig. „Sie behelligen also die feste Beziehung wenig.“
Diese Erkenntnis belegt aber gleichzeitig, daß Schwule seltener als Lesben bereit sind, um der Intimität und Nähe in der Beziehung willen auf Sex gänzlich zu verzichten. Männliche Identität steht auf dem Spiel. Eine schwule Beziehung, in der man sich gut versteht, aber nicht mehr anrührt, wird als schmerzlicher empfunden als eine, die nicht beendet werden kann, weil man trotz Streit immer wieder schwach wird.
Die Lesbenszene ist hingegen im Vergleich zur Schwulensubkultur prüde, brav und häuslich orientiert. Abschleppkneipe, Sauna, anonymer Sex oder gar – pfui, pfui, pfui – die käufliche Nummer existieren in der lesbischen Welt nicht. Selten gelingt es, eine sexuelle Affäre außerhalb der festen Partnerinnenschaft so zu gestalten, daß daraus keine neue Verliebtheit entsteht. Soll die erotisch erloschene Beziehung weiterbestehen, bleibt also nur der Zölibat in der Ehe.
Obwohl lesbische und schwule Paare mit der sexuellen Verödung ihrer Liebe verschieden umgehen, ist das Ergebnis sehr ähnlich: Je länger sie zusammen sind, desto stärker nimmt ihre Beziehung freundschaftliche Züge an. Und manchmal wird in diesen Prozeß eine Trennung eingebaut, auch wenn kein echter Bruch stattfindet. Die Grenzen sind fließend, zumal die homosexuelle Welt doch übersichtlicher ist und die traditionellen familiären Bindungen lockerer sind als bei der heterosexuellen Mehrheit: Zusammenhalt scheint (noch?) nötig.
Warum also einen vertrauten Menschen auf ewig abservieren? Funktionierende Freundschaften nach der Scheidung nähren zudem die komfortable Vorstellung, daß der homosexuelle Mensch eben doch edler und kommunikativer, also besser ist als der gemeine Durchschnitt.
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