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Startschuß für die Nummer zwei im Osten

Neben dem Ökomarkt auf dem Kollwitzplatz in Prenzlauer Berg werden nun auch auf dem Friedrichshainer Boxhagener Platz Bio-Lebensmittel verkauft. Bioläden und Ökomärkte entwickeln sich im Ostteil Berlins allerdings noch zaghaft – auch aufgrund der Preise  ■ Von Martin Reichert

„Friß mich“ war nicht nur der Programmtitel des Kabaretts anläßlich der Eröffnung des ersten Friedrichshainer Ökomarktes, sondern auch Programm: Der Osten Berlins ist mit Ökomärkten und Bioläden nicht gerade gesegnet, Berührungsängste vor biologisch kontrollierten Radieschen zu 2,20 Mark das Bündel sind durchaus vorhanden. Der neue Markt am Boxhagener Platz ist nach dem bereits etablierten am Kollwitzplatz der zweite im Osten gegenüber sechs im Westteil Berlins. Die Friedrichshainer Gruppe der lokalen Agenda21 hatte sich beim Bezirksamt dafür stark gemacht, gemeinsam konnte man Ökomarkt- Veranstalter Christoph Ebeling für das Projekt gewinnen. Die Agenda-21-Bewegung entstand anläßlich der Umweltkonferenz in Rio 1992 und hat sich zum Ziel gesetzt, auf lokaler Ebene für eine zukunftsfähige soziale, wirtschaftliche und ökologische Entwicklung zu sorgen. Wenn sich der Markt in Friedrichshain etablieren kann, wäre dies für die Agenda ein voller Erfolg: Bürgerinitiative, Verwaltung und Wirtschaft ziehen hier an einem Strang.

Das Interesse der Bevölkerung war zumindest am Eröffnungstag groß. Der Markt bietet die üblichen kontrollierten Basisprodukte wie Gemüse, Getreide und Fleisch aus der Region, aber auch andere Ökoprodukte (etwa Dinkelspreukissen). Als mögliches Problem könnte sich allerdings das hohe Preisniveau der Bioware erweisen, das sich mit dem durchschnittlich eher schmalen Geldbeutel der Friedrichshainer nicht verträgt. Anders als am Kollwitzplatz, wo viele Alternative und zugezogene Gourmets einkaufen, wohnen um den Boxhagener Platz viele alte Menschen und Sozialhilfeempfänger. Dem im Westen schon tiefer verankerten ökologischen (Ernährungs-)Bewußtsein steht im Osten oft ein „Das müssen wir uns erst mal leisten können“ gegenüber. Dahinter stehen nicht nur konkrete finanzielle Sorgen, sondern oft eine prinzipiell andere Einstellung, wie Regina Witt von der Gäa, Vereinigung ökologischer Landbau, betont. Man lege eben nicht soviel Wert auf Ernährung, spare lieber für ein Auto oder den nächsten Urlaub. Hinzu kämen Ressentiments gegenüber der „Wessi- Spinnerei“. Da hilft es auch nichts, daß viele Ökoprodukte und Frischwaren direkt aus der Region kommen, quasi „unser“ sind. Auf dem flachen Land tendieren viele Ostdeutsche eher zum traditionellen Selbstanbau, der Ökolandwirt findet hier keinen Absatzmarkt. Die Brandenburger Ökobauern zieht es denn auch eher nach Westberlin. Dennoch zeigt das Beispiel Friedrichshain, daß es entgegen aller Skepsis zumindest ein wachsendes Interesse gibt.

Im Ost-Plattenbauviertel Hohenschönhausen ergab eine Umfrage des Bezirksamtes, daß 92 Prozent der Bevölkerung einen Ökomarkt in ihrem Kiez haben wollen. Beinahe hätte die Schlafstadt auch einen bekommen, und zwar auf dem Parkplatz vor einem der berüchtigten Mega-Einkaufszentren. Die Managerin der „Treffpunkt Storchenhof“-Mall hatte sich von der Grünen Liga für einen wöchentlichen Ökomarkt vor der Tür begeistern lassen, sogar die Münchener Konzernherren konnten überzeugt werden. Allein die Kundschaft blieb bei der Eröffnung aufgrund mangelnder Werbung aus. Das Projekt: abgesoffen.

Johannes Spatz von der Leitstelle Gesundheit des Bezirksamtes gibt dennoch nicht auf. Er hofft, daß in Kooperation mit der Grünen Liga doch noch so etwas wie ein ökologisches Bewußtsein in Hohenschönhausen entsteht: „Bisher zeichnet sich der Bezirk in bezug auf Ernährung eher durch McDonaldisierung und der Stadt größte Coca-Cola-Abfüllanlage aus.“

Ökomarkt Boxhagener Platz: freitags, 12–18 Uhr

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