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Maulgetrommel, Handgeklöppel

Der Berliner Literaturpreis mit dem integrierten Wettbewerb um die Johannes-Bobrowski-Medaillen bleibt auch mit der fünften Auflage eine seltsam unentschiedene Veranstaltung. Als Sieger kamen nur Reinhard Jirgl und naturgemäß Ingo Schulze in Frage  ■ Von Jörg Magenau

Berlin ist nicht Klagenfurt. Und der Berliner Literaturpreis ist kein Bachmann-Preis. Was er aber ist, weiß man auch nach der fünften Ausgabe (nach 1989, 92, 94 und 96) nicht so genau. Privates Werkstattgespräch oder öffentlicher Wettkampf? Stipendium oder Werkschau? Von allem ein bißchen und also nichts richtig. Sieben Autoren und Autorinnen werden auf Basis ihres Gesamtwerks von einer siebenköpfigen Jury möglichst einvernehmlich ausgewählt und erhalten jeweils 10.000 Mark als eine Art Startgeld. Damit sind sie verpflichtet, mit einem unveröffentlichten Text zum Wettbewerb um die beiden Johannes-Bobrowski- Medaillen anzutreten (jeweils 20.000 Mark zusätzlich).

Da es also um viel Geld geht, verwundert es nicht, daß sich das Werkstattgespräch nicht recht einstellen will und die beteiligten Autoren es vorziehen, zu den Texten ihrer Konkurrenten zu schweigen. Vor zwei Jahren hatten sie sogar noch ein Stimmrecht, mußten also mitentscheiden über die Preisvergabe. Dieser Peinlichkeit entzogen sie sich dadurch, daß jeder konsequent für sich selbst stimmte, und so schaffte man diesen Teil der Veranstaltung nun endlich ab und legte die Wahl allein in die Hände der Jury. An solchen Unfertigkeiten erkennt man den Berliner Literaturpreis. Ewig wird an seinen Statuten herumgebosselt, weil er die richtige Gestalt nicht finden will. Auch der Wettbewerbscharakter ist seltsam abgefedert. Vor jeder Lesung gibt es zur Sicherheit eine Laudatio, und die anschließende Kritik fällt stets recht freundlich aus. Schließlich sind ja alle Beteiligten von vornherein Preisträger, und die Jury kann nur schwer Autoren schlecht finden, die sie selbst ausgesucht hat.

In diesem Jahr hießen die sieben Musketiere Anne Duden, Bodo Hell, Reinhard Jirgl, Gerd Jonke, Irina Liebmann, Ingo Schulze und Jörg Steiner. Sie hätten bestimmt auch anders heißen können, aber es ist nicht so einfach, alle zwei Jahre sieben Autoren zu finden, die, so die Statuten, mit ihrem Werk „einen wesentlichen Beitrag zur Entwicklung der deutschsprachigen Literatur geleistet haben“ und sich dann auch noch einem Wettbewerb auszusetzen bereit sind. Im Ergebnis bedeutet das viel Mittelmaß und Langeweile, wechselweise überflüssige, bemühte oder und belanglose Texte. Wenn das, was in diesem Jahr zu hören war, die deutsche Literatur voranbringen soll, dann sollte man den Berliner Literaturpreis in dieser Form lieber abschaffen und den Autoren in aller Stille ein Stipendium bewilligen. Das bringt wenigstens sie selbst voran.

Anne Duden mußte wegen Krankheit absagen, da blieben nur noch sechs. Bodo Hell, ein kahlköpfiger, lustig augenfunkelnder Österreicher, brachte zwar seine Maultrommel mit, um damit, doing, doing, doing, Zäsuren zu setzen. Sein Text, ein hochartifizielles Höhlengleichnis über Naturerkenntnis, wurde von der Jury als „großes Dröhnen“ (Verena Auffermann), als „ironischer Reflexionsvorgang, der zu keinem Ergebnis führt“ (Sibylle Cramer), aber doch eher ratlos entgegengenommen. Blieben fünf. Gert Jonke, der zweite Österreicher, las einen Dramenauszug über eine Art Gewerkschaftsversammlung zum Weltuntergang so brüllend und so durchgängig falsch betont vor, daß man dreißig Minuten lang bei jedem dritten Wort zusammenzuckte: eine körperliche Tortur, ein „Spektakel um überhaupt nichts“, ein Text, der sich jedem „Themenverdacht entziehe“ (Wendelin Schmidt-Dengler). Was soll eine hermeneutelnde Jury, die sich redlich bemüht, jeden Beitrag ins Bedeutungsvolle hochzustemmen, noch sagen, wenn der Autor erklärt, ihm sei es eigentlich egal, ob der Text jede Bedeutung oder gar keine habe?

Blieben vier. Der Schweizer Jörg Steiner trat mit einer Geschichte über einen Sonderling an, der immer alles sagt, was ihm gerade durch den Kopf geht, und der doch von allen geliebt wird. Da die Geschichte sich schweizerisch trödelig „so durchschlenkert“ (Elke Schmitter), wurde sie prompt mit Robert Walser verglichen, was ihr in ihrer Konventionalität aber nicht gut bekam. Recht konventionell auch Ingo Schulze mit dem ersten Kapitel aus einer Novelle mit dem Titel „Titus Türmer“ – eine Schulgeschichte aus Dresden, Ende der siebziger Jahre, in deren Anlage unschwer Parallelen zum „Törleß“ zu erkennen sind. Doch bei Schulze, der mit „Simple Storys“ derzeit auf den Bestsellerlisten steht, war die Jury eher geneigt, die altertümelnde Sprache und die sehr bekannten Sujets der Pubertäts-, Freundschafts- und Erziehungsgeschichte „genial altmodisch“ zu finden. Den Rückgriff auf die bürgerliche Tradition der zwanziger Jahre – auch die Novellen von Stefan Zweig spielen eine wichtige Rolle als Vorlage – wertete sie als Versuch, die Differenz zwischen bürgerlicher und sozialistischer Erziehung auszumessen. Kleiner Schönheitsfehler: Schulzes Sprache schien eher dem 19. Jahrhundert nachempfunden als den Zwanzigern, die er anpeilte.

Den Bezug zu den zwanziger Jahren suchte auch Irina Liebmann mit ihrem „Poem für Jakob Wassermann“ – einem Vortragstext, der sich zwischen Essay, Lyrik und Gesang nicht recht zu entscheiden wußte, der aber in seiner Vielstimmigkeit Interesse weckte. Liebmanns Auseinandersetzung mit dem jüdischen Dichter suchte nach Antworten auf die Frage, warum er sich 1933, am Beginn der kollektiven Katastrophe, in seinem Roman „Jakob Kerkhovens dritte Existenz“ ausschließlich mit der privaten Katastrophe einer gescheiterten Liebe beschäftigte. Darf man das?

Blieb noch einer: Reinhard Jirgl, und mit ihm endlich der Text, für den es sich dann doch noch gelohnt hatte dabeizusein. Jirgl beschäftigt sich derzeit in einem neuen Roman mit dem Arbeitstitel „Transfer Dorado“ mit den „Neuen Emigranten“, die er in großer Zahl ausgemacht hat: Menschen unterschiedlichsten Alters und sozialer Herkunft, die Deutschland verlassen, nicht mehr, um wie früher in abgelegenen Weltgegenden „auszusteigen“, sondern um meist in den USA ihre zweite Chance zu suchen. Eine solche Emigrantin berichtet in dem vorgestellten Kapitelauszug von ihrem Scheitern bei der Ankunft auf dem Kennedy- Airport in New York. Denn über die Wartehalle kommt sie, eine Berliner Krankenschwester, nicht hinaus. Aus der Reihe der Wartenden wird sie herausgefischt und, weil man Bewerbungsunterlagen in ihrem Gepäck findet, nach Europa zurückgeschickt. Der Text, poetisch, dicht und präzise in den Detailbeobachtungen, funktioniert zugleich als Metapher für eine Reise ins Innere und für den Aufbruch aus dem alten Osten in den fremden Westen: ein Aufbruch als Stillstand, ein Dasein im Wartesaal und vor allem ein Aufbruch, der statt auf die ersehnte Freiheit auf die bekannten Kontrollen und Grenzziehungen stößt.

Keine Frage, daß Jirgl eine Bobrowski-Medaille erhielt. Die andere ging, wie könnte es anders sein, an Ingo Schulze.

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