Wird Bierhoff langsam seltsam?

„Dem Turnier meinen Stempel aufdrücken“: Das Kreativ- und Flankendefizit im deutschen Team frustriert den Stürmer Oliver Bierhoff. Er fordert „risikoreicheres Spiel“  ■ Von Peter Unfried

Nizza (taz) – Wenn man mit einem Bierhoff spielt, kann man bestimmte Dinge erwarten – bestimmte allerdings nicht. Welche nicht, zum Beispiel? „Wenn man mit einem Bierhoff spielt“, sagt Oliver Bierhoff, „kann man nicht erwarten, daß er im Mittelfeld den Ball nimmt und fünfzig Meter sprintet.“ Frage: Wird Bierhoff womöglich langsam ein bißchen seltsam, was sich darin ausdrückt, daß er von sich in einer Art spricht, wie sie sonst nur ein Lothar Matthäus beherrscht?

Nein, wird er nicht. Oliver Bierhoff ist nach wie vor ein erstaunlich auskunftsbereiter, sogar höflicher Fußballprofi. Was sich darin ausdrückt, daß er „vielen Dank“ sagt, wenn er in der Mixed Zone weitergehen muß, weil das Fernsehen wie blöd nach ihm schreit. Im Moment ist er ein bißchen frustriert. Sprints, wie sie ein Andreas Möller gelegentlicht bei Dortmund aufführt, erwarten von ihm die wenigsten. Was alle erwarten, sind – WM- Tore. Eins hat er ja nun glücklich geschossen. Mit einem prächtigen Kopfstoß hat er dem DFB in Lens das 2:2 gegen Jugoslawien gerettet. Das Tor war der Ausdruck dessen, was Bierhoff kann: Eine gut getimete Flanke, in diesem Fall handelte es sich um einen Eckstoß von Olaf Thon, klinisch abschließen, am besten mit dem Kopf.

Die Deutschen haben damit das Schlimmste verhindert, sind weiter Gruppenerster und können mit einem entsprechenden Sieg über den Iran am Donnerstag in Montpellier „den Gruppensieg klarmachen“ (Bierhoff).

Bierhoffs persönliche Bilanz steht nun bei 18 Toren in 28 Länderspielen, und weil es ein „wichtiges Tor“ war, zudem „mein erstes hier“, erklärte sich Bierhoff darüber auch „glücklich“. In Maßen. Das Problem ist: Die DFB-Stürmer bekommen, sagt er, „letztendlich zu wenig“ Chancen. Warum das so ist, weiß Bierhoff genau. Wegen branchenüblichen Schweigegelübdes packt er die Antwort zunächst in eine rhetorische Frage. Er fragt sich, „ob das nur an den Stürmern liegt“?

Damit rührt er an das zentrale Problem des DFB-Teams, das in Lens offensichtlich wurde: Es fehlen sowieso Kreativspieler, die in der Lage wären, eine Situation mit einer Körpertäuschung, einem kurzen Sprint so entscheidend zu verändern, daß Raum geschaffen würde und Zeit wäre für Paß oder Flanke. Wenn dann auch noch Vogts' Ordnung zerfällt, weil sie schwächer ist als die Kreativkräfte des Gegners, wird es für die Deutschen bitter.

Die Jugoslawen haben Dragan Stojković, immer noch ein raffinierter Veränderer von Situationen. Auch Okocha (Nigeria) und Zidane (Frankreich) spielen schnell mal ein, zwei Gegner aus und passen dann. Die Deutschen hatten am Sonntag Möller – und also wenig. Aber das ist bekannt. Es war schon 1996 so. Deshalb predigt Berti Vogts auch immer die Wichtigkeit der Außenpositionen. Und deshalb ist er nun so schlecht zu sprechen auf seinen Zögling Christian Ziege, der auf der linken Seite jenes Spiel nicht mehr findet, das ihn zu einem entscheidenden Faktor beim EM-Sieg gemacht hatte. Da auch Jörg Heinrichs Flanken den Qualitätstest nicht bestanden, flüchtet sich Vogts in Sarkasmen. Das Tempo sei „vielleicht zu hoch“ gewesen, oder „die Räumlichkeiten nicht wie beim Training“ – ein Lob bekam bloß der Journalist, der das Flankendefizit angesprochen hatte („Sehr gut beobachtet“). Vogts gibt, wenn er so was sagt, aber neuerdings gar keine verbissene Figur. Manche sagen, er grinste sogar.

Oliver Bierhoff (30) jedenfalls ist als Torschützenkönig der italienischen Serie A nach Frankreich gekommen mit dem Selbstbewußtsein, „dem Turnier meinen Stempel aufzudrücken“.

Er kann es sich ausrechnen, daß seine erste WM die einzige Gelegenheit sein wird, das zu tun. Er weiß, daß dieser Stempel sich nur in Toren ausdrücken kann. Bierhoff hat bei einigen Erstaunen erregt, als er gegen die USA Kollege Klinsmanns Treffer mit einer erstaunlichen Flanke vorbereitet hat. Nichtsdestotrotz bleibt er in erster Linie ein Strafraumstürmer.

Nun hat er zweimal gespielt und hatte ein paar Halbchancen (gegen die USA) und nun zwei richtige gegen Jugoslawien. Ergebnis: ein Tor, einmal Latte. Das bestätigt den Mann darin, offensiv von seinen „Torjägerqualitäten“ zu reden, und davon, daß man versuchen müsse, „meine Stärken einzusetzen“. Da ist er auf einer Linie mit Vogts. Wenn er aber sagt, es passiere „einfach zu selten“ etwas, man müsse „risikoreicher spielen“, ist er es möglicherweise nicht mehr. Den DFB-Trainer kann schon der bloße Gedanke beunruhigen, Häßler und Möller spielen zu lassen. Er hat dann zwar das sichere Risiko – aber nicht notwendigerweise mehr Kreativität oder auch bloß präzise Vorlagen.

„Wenn man mit zwei Stürmern spielt“, sagt aber Bierhoff mit Berechtigung, „muß man mehr Flanken suchen.“ Insbesondere wenn es sich um zwei herausragende Kopfballspieler wie ihn und den Kapitän Jürgen Klinsmann handelt.

Also: Flanke, Klinsmann springt hoch, verpaßt aber. Dahinter steigt aber Bierhoff über Komljenović und Jugović und rammt das Ding volle Wumme rein. „Absolut fabelhaft“, seufzte gestern der Guardian. Und offenbar ganz einfach: Eigentlich braucht man nur einen Bierhoff richtig einzusetzen.