Berti Vogts will lieber Fußball

■ Der DFB-Trainer ist sauer, daß sein Arbeitgeber einen WM-Rückzug erwogen haben könnte

Nizza (taz) – Berti Vogts will Fußball spielen. Und nun soll er das nicht dürfen. Wie sehr er darüber verstimmt ist, merkte man spätestens, als er gestern in der Turnhalle von Nizza auf harmlose Fachfragen anfing, Journalisten zu bashen („So kriegen Sie nie den Pulitzer-Preis“). Der Grund seiner Verstimmung: „Daß es den Gedanken gab, die Mannschaft zurückzuziehen“, sagte Vogts, „dafür fehlen mir die Worte.“ Wie konkret die Absicht des DFB war, als Reaktion auf die Gewalttaten deutscher Staatsbürger in Lens sein Team tatsächlich von der WM zurückzuziehen – darüber wurde gestern gerätselt. DFB-Kommunikationsdirektor Wolfgang Niersbach versuchte eine halbe Stunde lang, „den richtigen Ausruck“ zu finden für einen Vorgang, den er vorläufig nur als „aus der Betroffenheit formulierten Gedanken“ in den Raum stellen konnte. DFB- Trainer Vogts war deutlich konkreter. Er war „sehr betroffen, was der DFB hier vorgehabt hat“.

Unter anderen hatten gestern L'Equipe und Guardian gemeldet, DFB-Präsident Egidius Braun habe nach „dem schwärzesten Tag“ seines Lebens über einen Rückzug nachgedacht. Diesen Gedanken soll er in tastenden Worten gegenüber Fifa-Präsident Joseph Blatter formuliert haben. Daß Blatter davon abraten muß, ist klar. Dem Fifa-Produkt WM und seinen Verpflichtungen gegenüber seinen Geschäftspartnern nützte ein Rückzug der Deutschen und womöglich auch Engländer nichts – im Gegenteil.

Daß der DFB über einen solchen Akt ernsthaft nachgedacht haben soll, ist nicht ehrenrührig. Wer gestern den Rednern in Nizza lauschte, mußte einen gegenteiligen Eindruck gewinnen. Der schäumende Angestellte Vogts zum Beispiel hatte Braun umgehend angerufen „und auf gewisse Dinge hingewiesen“. Genaueres will er erst nach der WM mitteilen.

Braun beeilte sich, die Sache zu relativieren. Er sprach von „tausend Gedanken“ im Kopf, mit denen er am Morgen das Gespräch mit Blatter und Uefa-Präsident Johansson gesucht habe. Inzwischen glaubt auch er, ein Rückzug würde „nichts nützen“. Natürlich ist er wie auch Vogts betroffen vom Schicksal des französischen Polizisten in Lens. Die Mannschaft auch. Aber, sagte der für das Team sprechende Thomas Helmer: „Daß man uns die sportliche Basis nehmen will, war für uns nicht zu begreifen.“ Vogts und sein Team haben auf die WM hingearbeitet. Der Trainer glaubt zudem, die persönliche Niederlage von New York 1994 tilgen zu müssen. Und nun: Abreisen?

Sich die Frage zu stellen, ob ein Rückzug nicht auch Akzeptanz von Verantwortung bei gleichzeitiger Stigmatisierung der Gewalttätigen bedeuten könne, lehnt Vogts („Was kann die Mannschaft dafür?“) ab. Helmer beantwortete sie mit einer Gegenfrage: „Glauben Sie, daß das Sinn macht?“ Genau das ist eine weitere Frage, die man sich in Saint Paul de Vence offenbar nicht stellen mochte. Niersbach faßte den Hauptargumentationspunkt in die Worte: „Wir sind überzeugt, daß ein Rückzug nicht den geringsten Sinn machen würde, weil dann eine Minderheit von Kriminellen einer Mehrheit etwas zerstört, was uns Freude machen kann.“ Braun sagt, die Täter seien „nicht Deutschland“, sondern „Extremisten“ und „bei Bestien einzuordnen“.

„Wir sind hier“, sagte Helmer, überlegte kurz und fuhr dann fort, „weil wir Fußballer sind.“ Stimmt ja. Und natürlich gab Berti Vogts ein verständliches Bedürfnis einer mutmaßlichen Mehrheit wieder, als er gestern sagte: „Können wir jetzt nicht endlich über Fußball reden?“ Vielleicht ist die Frage dennoch: Können wir? Peter Unfried