: Die Angelegenheit der ganzen Stadt
■ Schon vor 60 Jahren kam es in Flint zum Streik – und zur Geburt der Autoarbeitergewerkschaft
Das Städtchen Flint hat ihn nicht erfunden, aber berühmt gemacht. Schon vor dem glorreichen Winter 1936/37 haben organisierte Arbeiter diese Kampfform benutzt, nirgends aber so erfolgreich wie in Flint. Die Rede ist von der Betriebsbesetzung, die damals noch bescheiden Sitzstreik genannt wurde. Die Arbeiter von Flint dichteten damals ein Liedchen auf dieses Kampfmittel, um sich in schweren und kalten Zeiten bei Laune zu halten: „When the boss won't talk/ don't take a walk;/ Sit down, sit down.“ (Will der Boß nicht reden, sollst du nicht gehen, laß dich nieder, setz dich hin!)
Im Winter 1936 mit dem Präsidenten Theodore Roosevelt im Weißen Haus und dem sozialdemokratisch gesinnten Frank Murphy als neugewähltem Gouverneur des Bundesstaats Michigan standen die Chancen nicht schlecht für die Organisierung der Arbeiter in den Werken der wachsenden Automobilindustrie Amerikas. Es begann in einem inzwischen geschlossenen Karosseriewerk. Einige wenige organisierte Arbeiter riefen zum Streik auf und rieten den Kollegen, sitzen zu bleiben – durch den „Sit Down Strike“ ließ sich das Einschleusen von Streikbrechern verhindern.
Der Streik weitete sich aus. Ein zweites Werk in Flint und das Karosseriewerk für den Cadillac in Detroit schlossen sich der Arbeitsniederlegung an. Damit wurde eine landesweite Lösung des Konflikts notwendig, damit GM nicht ein Werk gegen das andere ausspielen konnte. Daß die streikenden Männer in den Fabriken blieben, mobilisierte deren Frauen, die ihnen das Essen bringen mußten. So wurden die Streiks zur Angelegenheit der ganzen Stadt.
GM wollte die Sache gewaltsam lösen, und am 11. Januar 1937 setzte die Polizei zum Sturm auf die beiden Werke in Flint an. Die Polizei schoß Tränengas, die streikenden Arbeiter antworteten mit einem Hagel aus halbfertigen Bauteilen und mit Wasser aus den Schläuchen der Werksfeuerwehr. Zusätzlich griff eine Frauenbrigade die Polizei von außen an. Die „Bullen“, wie sie damals erstmalig genannt wurden, mußte fliehen. Dann aber geschah etwas Ungeheuerliches: Der frisch vereidigte Gouverneur Murphy setzte die Nationalgarde ein – nicht gegen die Arbeiter, sondern um sie vor der Polizei, die erneut angreifen wollte, zu schützen. Murphy hatte die Unterstützung Roosevelts und zwang General Motors, mit den Streikenden zu verhandeln. Aus dieser Streikbewegung ging die United Auto Workers (UAW) hervor, Amerikas stärkste und größte Gewerkschaft, deren Mitgliederzahl seit 1970 allerdings von 1,5 Millionen auf 800.000 zurückging.
Flints Arbeiterschaft genoß jahrzehntelang einen legendären Ruf, was der Stadt nicht nur zum Vorteil gereichte. Welche Firma wollte sich schon in einer Stadt ansiedeln, deren Arbeiterschaft als so rebellisch galt. Bis heute lebt Flint so gut wie ausschließlich von GM. Das soll sich nach dem Willen des Bürgermeisters Woodrow Stanley ändern. Auf die Dauer können Streiks nicht den Wandel der Autoindustrie und ihres alten Standorts aufhalten. Schon heute bildet sich im Umkreis der Stadt ein Schwerpunkt für medizinische Dienstleistungen – wozu die gute Krankenversicherung der GM-Arbeiter und ihrer 41.000 Pensionäre beitragen.
40.000 mal Danke!
40.000 Menschen beteiligen sich bei taz zahl ich – weil unabhängiger, kritischer Journalismus in diesen Zeiten gebraucht wird. Weil es die taz braucht. Dafür möchten wir uns herzlich bedanken! Ihre Solidarität sorgt dafür, dass taz.de für alle frei zugänglich bleibt. Denn wir verstehen Journalismus nicht nur als Ware, sondern als öffentliches Gut. Was uns besonders macht? Sie, unsere Leser*innen. Sie wissen: Zahlen muss niemand, aber guter Journalismus hat seinen Preis. Und immer mehr machen mit und entscheiden sich für eine freiwillige Unterstützung der taz! Dieser Schub trägt uns gemeinsam in die Zukunft. Wir suchen auch weiterhin Unterstützung: suchen wir auch weiterhin Ihre Unterstützung. Setzen auch Sie jetzt ein Zeichen für kritischen Journalismus – schon mit 5 Euro im Monat! Jetzt unterstützen